Europäisches Tagebuch, 14. April 2023: Heute vor 106 Jahren starb Ludwik Lejzer Zamenhof
von Hanno Loewy
Am 15. Dezember 1859 wurde Ludwik Lejzer Zamenhof in Bialystok geboren. Bekannter aber wurde das Pseudonym Doktor Esperanto, unter dem er 1887 eine Plansprache begründete, die noch heute von Menschen gesprochen und gepflegt wird – Menschen, die darauf hoffen, dass die Babylonische Sprachverwirrung einst einer vereinigten Menschheit nicht länger im Weg stehen wird.
Zamenhof wuchs in einer vielsprachigen Welt auf, einer vielsprachigen Stadt, in der ganz selbstverständlich Polnisch, Russisch, Deutsch und Jiddisch gesprochen wurde. Sein Vater war der jüdischen Aufklärungsbewegung, der Haskala verbunden, verstand sich als Russe und als Atheist. Er arbeitet als Sprachlehrer für Französisch und Deutsch – und wurde russischer Schulinspektor und Zensor. Zamenhofs Mutter hingegen war religiös und sprach Jiddisch. Aus diesem Kosmos voller sich damals noch nicht ausschließender Widersprüche zog Lejzer, der sich bald den nicht-jüdischen Vornamen Ludwik zulegte, seine eigenen Lehren. Zunächst aber studierte er Medizin, erst in Moskau, dann in Warschau, und wurde Augenarzt.
Die Pogrome von 1882 führten den jungen Russen, als der auch er sich zunächst verstand, zur frühen zionistischen Bewegung. Doch das Ziel einer jüdischen Heimstätte im Nahen Osten erschien ihm unrealistisch. Er sah die Zukunft der Juden in einer versöhnten Welt, ohne sprachliche, kulturelle oder religiöse Mauern. Und wurde folgerichtig Internationalist.
Bereits als Kind hatte Zamenhof sich für den Reichtum der Sprachen begeistert, beherrschte selbstverständlich Russisch und Jiddisch, lernte früh Polnisch, Deutsch und Französisch, in der Schule zusätzlich Griechisch, Latein und Englisch. Auch Hebräisch eignete er sich an, sollte er doch später die hebräische Bibel ins Esperanto übersetzen.
Sein eigentlicher Traum aber war eine leicht zu erlernende Weltsprache, in der eine zerstrittene Menschheit zueinander finden sollte. Nicht um ihre „eigene“ Sprachen zu vergessen, sondern um eine gemeinsame Basis zu gewinnen. Schon an seinem 18. Geburtstag sang er mit seinen Freunden ein Lied in der Lingwe Uniwersale.
1887 schließlich veröffentlichte er unter dem Namen Dr. Esperanto seinen endgültigen Entwurf, und begann mit der Herausgabe einer eigenen Zeitschrift, La Esperantisto, wie aich von Adress- und Wörterbüchern. Vor allem aber arbeitete er an einer universalistisch-humanistischen Weltanschauung, die er zunächst Hillelismus (nach dem bedeutenden jüdischen Gelehrten der vorchristlichen Zeit) und schließlich auf Esperanto Homaranismo nannte.
Die Esperanto-Bewegung zählte bald tausende Anhänger in den verschiedensten Ländern Europas. Viele Familien lehrten die Sprache ihren Kindern, so auch die Eltern von George Soros in Ungarn. Doch die nationalistische Selbst-Zerfleischung Europas im 1. Weltkrieg konnte durch seine Bewegung genauso wenig aufhalten werden, wie durch die Friedensbewegung.
Den Kriegsbeginn erlebte Zamenhof 1914 in Köln, auf dem Weg von Warschau nach Paris zum 10. Esperanto-Weltkongress. Über die Kriegsjahre zog Zamenhof sich zurück, arbeitete an einer Übersetzung der hebräischen Bibel ins Esperanto, verfasste eine Denkschrift An die Diplomaten, in der er aufrief, bei den kommenden Friedensverhandlungen die Minderheiten nicht zu vergessen, und kämpfte mit seiner Herzkrankheit, die ihn schließlich am 14. April 1917 besiegte. Zamenhof wurde 57 Jahre alt. Auf seinem letzten Weg zum Jüdischen Friedhof in Warschau begleitete ihn eine große Menschenmenge, darunter auch viele seiner armen jüdischen Patienten.
Bis heute gibt es Esperantogruppen in vielen Ländern die zumindest die Erinnerung an Zamenhofs Traum hochhalten. 2017 hatte sogar die Unesco Zamenhofs 100. Todestag in die Liste der offiziellen Gedenktage des Jahres aufgenommen. Der Stadtrat von Bialystok, beherrscht von der rechts-nationalen Partei PIS lehnte es freilich ab, den berühmten „Sohn der Stadt“ zu ehren.
Österreichs verewigter Bundespräsident Franz Jonas, ein gelernter Schriftsetzer, hat diese Sprache auch perfekt und fließend beherrscht. Ich habe ihn darob stets bewundert. Daher war mir Esperanto schon als junger Mensch ein Begriff.