Rückblick, 25.8.2020: Ungarns Außenminister Peter Szijjarto zeigt sich in sozialen Medien in seinem Büro, wie er sich in zahlreichen Telefonaten mit seinen europäischen Kollegen um die Krise in Weissrussland kümmert. Schließlich hat er die besten Drähte zum Kreml. Vor allem aber wohl zu den Oligarchen, die die Macht von Ungarns Ministerpräsident Orban sichern und nach und nach alle Medien im Land kaufen. Die wenigen, die noch Nachrichten recherchieren und nicht nur Propaganda verbreiten, sorgen diese Woche allerdings für Heiterkeit in Ungarn. Während Szijjarto sich angeblich in seinem Büro um Weissrussland kümmert ist er tatsächlich mit seinem Urlaub auf See beschäftigt. Und das ist nicht nur lustig, weil der Außenminister offenbar über die Gabe der Bilokation verfügt, sondern auch aus anderen Gründen interessant: Anders als seine Landsleute, denen Orban dieses Jahr einen Urlaub in der Heimat verordnet, verbringt er die schönen Tage nicht auf dem Balaton-See, sondern vor der kroatischen Adriaküste auf einer Luxusyacht des Oligarchen Laszlo Szijj, der zum engsten Kreis der Orban Vertrauten gehört. Der Urlaub auf der 42 Meter langen und 21 Millionen Euro teuren Luxusyacht ist für ihn reine Privatsache. Auch wenn sie offenkundig sogar gegen die ungarischen „Antikorruptionsregeln“ verstößt. Luxusaffären wie diese gehören in Ungarn ohnehin längst zur Tagesordnung. So fielen Ungarns Vizepremier Zsolt Semjén und Orbáns ehemaliger Kanzleichef János Lázár mit teuren Jagdausflügen und Übernachtungen in Luxushotels auf. Orbáns Kabinettschef Antal Rogán machte 2016 mit einem Luxus-Helikopterflug zu einer Celebrity-Hochzeit Schlagzeilen. All das auf Einladung ebenjener Oligarchen, die nach und nach die letzten freien Medien im Lande aufkaufen. Vorzugsweise solche, die es wagen, über Korruption noch zu berichten.
Index auf dem Index. Zum Sterben der Pressefreiheit in Ungarn
Rückblick, 26.7.2020: Schon 80% aller Medien in Ungarn werden von der Regierung Viktor Orbans kontrolliert. Nun wird auch das letzte einflussreiche Medium ausgeschaltet, das für unabhängige Berichterstattung einstand: das Online-Portal Index, das mit anderthalb Millionen Leserinnen und Lesern zum reichweitenstärksten Medium des Landes geworden ist. Chefredakteur Szabolcs Dull wurde gestern vom neuen Chef der „Index-Stiftung“ László Bodolai zu einem Treffen außerhalb der Redakteursräume gebeten, um eine „geschäftliche Angelegenheit“ zu besprechen. Und bekam dort seine Kündigung überreicht. Inzwischen haben fast alle Redaktionsmitglieder aus Solidarität ebenfalls gekündigt, mehr als 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sehen unter den jetzigen Umständen keine Chance mehr für unabhängigen Journalismus. Dull und seine KollegInnen haben die Gefahr kommen sehen.
Die Unsichtbaren
Rückblick, 16.5.2020: In Italien droht die Ernte zu verfaulen. Im Zeichen von Corona merkt man plötzlich, dass die „illegalen“ schwarzen Migranten in Wirklichkeit das Land ernähren. Ca. 670.000 Einwanderer ohne gültige Papiere leben schätzungsweise in Italien. Von etwa 200.000 Ausländern, die in der Altenpflege, oder als Kinder- und Dienstmädchen in privaten Haushalten arbeiten, sind 70% nicht legal beschäftigt. Neben hunderttausenden von Saisonarbeitern, die aus Nordafrika oder Rumänien eingeflogen werden, arbeiten auch mindestens 130.000 „Unsichtbare“ in der Landwirtschaft. Migranten, die ohne jeden Status untergetaucht sind und in rechtswidrigen und menschenverachtenden Lebens- und Beschäftigungsverhältnissen vegetieren. Die Bauern sparen sich die Versicherung und zahlen 20 bis maximal 30 € Lohn – am Tag. Mafiose Vermittler kassieren für den Transport zur Arbeit und für unwürdige Massenquartiere. Wer dort an Corona bekommt hat Pech gehabt. Die Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova weiß, wovon die Rede ist. Sie war selbst einmal Landarbeiterin. „Ich habe auf den Feldern viele Freundinnen verloren, die auf dem Arbeitsweg oder an Überarbeitung gestorben sind. Sie hatten nicht so viel Glück wie ich“, sagte Bellanova bei ihrer Vereidigung zur Landwirtschaftsministerin im vergangenen September. Nun will sie gegen die Sklavenarbeit auf den Feldern und in den Ställen vorgehen.
Doch dazu muss den „Illegalen“ zunächst ein legaler Weg aus der Unsichtbarkeit ermöglicht werden. Dagegen laufen die Populisten natürlich Sturm. Aber jetzt hat Bellanova – im Zeichen von Corona – neue Argumente. Kann sich das Land in Zeiten der Pandemie tatsächlich leisten, hunderttausende von Menschen in „systemrelevanten“ Bereichen illegal zu beschäftigen, ohne dass diese Menschen eine Chance auf ärztliche Behandlung haben? Ob das gegen die Blockade von rechts helfen wird ist freilich nicht ausgemacht.
Rückblick 15.5.2020: Der ORF berichtet über die Bedrohung der Demokratie in Ungarn. Dort werden die ersten Menschen verhaftet, weil sie sich im Internet kritisch über Orban und seine Regierung äußern. Das Ermächtigungsgesetz im Zeichen von Corona zeigt Wirkung. Das Parlament ist auf unbegrenzte Zeit in Ferien. Und das, was Orban als „Fake News“ definiert hat, also Kritik an seiner Person, kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Das trifft in Orbans „illiberaler Demokratie“ jetzt vor allem einzelne Menschen, denn die Medien sind in Ungarn ohnehin fast vollständig unter seiner Kontrolle. Eine Verordnung der Regierung hat schon vor einiger Zeit festgelegt, dass Medien bei bestimmten Themen vorher bei der Regierung nachfragen müssen, ob eine Berichterstattung darüber erlaubt ist…
Der ORF aber spielt Rätselraten und liest im Kaffeesatz. Tarek Leitner fragt: „Warum tut Orban das bloß?“ Es gäbe tatsächlich Leute, die glauben würden, Orban wolle eine Diktatur errichten. Kann das sein? Ernst Gelegs in Budapest wird um seine Einschätzung gebeten. Auch er sinniert, als würde er schon um seine Akkreditierung fürchten, und in seinem Vorzimmer säße die Geheimpolizei. Immerhin würde ja die Staatsanwaltschaft gar keine Anklage gegen die gerade Verhafteten erheben. Warum also macht Orban das dann bloß? Könnte es wirklich sein, dass er mit seinen Maßnahmen einfach die Leute einschüchtern wolle? Wann wird er den Ausnahmezustand wohl wieder aufheben? Praktisch gelte der ja unbegrenzt. Aber vielleicht, so Gelegs, ja frühestens Ende Juni. Ja Ende Juni, so versucht es Ernst Gelegs es mit paradoxer Pädagogik, würde Urban das wohl tun. Denn schließlich wolle Orban ja seine Kritiker Lügen strafen. Wenn er sie nicht einfach irgendwann alle verhaften lässt, wenn noch welche übrig bleiben. Und der ORF sich weiter fragen, was Orban denn damit dann bloß meinen könnte.
Tauben, Telegraphie und Weltnachrichten: Paul Julius Reuters
Europäisches Tagebuch, 25.2.2021: Heute vor 122 Jahren starb Paul Julius Reuter, der Begründer der Nachrichtenagentur „Reuters Telegraphic Company“ in Nizza. Geboren wurde Paul Julius Reuter unter dem Namen Israel Beer Josaphat am 21. Juli 1816 in Kassel, wo er als Sohn des aus Witzenhausen stammenden Händler und Rabbiner Samuel Levi Josaphat aufwuchs. Ihn zog es jedoch zur Wissenschaft und Publizistik. In Göttingen lernte er den Mathematiker Carl Friedrich Gauß kennen, der an den Experimenten beteiligt war, die zur Erfindung des elektrischen Telegraphen führten. 1845 konvertierte er in London zum lutherischen Protestantismus, nahm den Namen Paul Julius Reuter an und heiratete in Berlin die Bankierstochter Ida Maria Magnus. Wenig später wurde er Teilhaber eines neuen Verlagshauses mit Buchhandlung, das unter dem Namen „Reuters und Stargardt“ 1848 nicht zuletzt demokratische Schriften publizierte. Nach dem Scheitern der Revolution musste Reuters nach Paris fliehen. Aus „Reuters und Stargardt“ wurde „Stargardt“, bis heute ein führendes Antiquariat in Deutschland.
Doch Reuters blieb seinen Überzeugungen treu und engagierte sich nun auf dem Gebiet der Pressefreiheit und der transnationalen Kommunikation. 1850 gründete er in Aachen eine Nachrichtenagentur, die zunächst zwischen Brüssel und Aachen die Lücke in der Verbindung zwischen Paris und Berlin mit Brieftauben schloss, die deutlich schneller unterwegs waren, als die Postkutsche. 1851 wurde auch diese Verbindung durch Telegraphie ersetzt und schließlich auch Großbritannien mit dem Kontinent verbunden.
Die aus den USA mit dem Schiff eintreffenden Nachrichten, wurden bald von Cork in Irland schneller nach London expediert, als das Schiff selbst dorthin gelangen konnte. Reuters Nachrichtenübermittlung sicherte sich den entscheidenden Zeitvorsprung. Dabei waren nicht zuletzt die Börsenmeldungen im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert. Bald konnte er in allen wichtigen Städten der Welt Korrespondenten einsetzen und seine Aktiengesellschaft Reuters Telegraphic Comp. Incorporated verfügte über ein Nachrichtenmonopol.
1872 erhielt der inzwischen zum Baron geadelte Reuters vom persischen Schah Naser al-Din auch eine Konzession zur wirtschaftlichen Entwicklung Persiens. Dies schloss exklusive Rechte ein, zum Bau von Eisenbahnen und Dämmen, Flussregulierungen und zur Ausbeutung von Bodenschätzen, freilich mit Ausnahme der Gold- und Silberminen. Doch seine ehrgeizigen Pläne scheiterten schon bald am Mangel von Kapital und schon ein Jahr später widerrief der Schah die Konzession, nachdem Russland Protest erhoben hatte. Reuters wurde mit der Konzession für die Gründung der Imperial Bank of Persia entschädigt, die bis zur Gründung der iranischen Zentralbank auch die Funktion einer persischen Notenbank übernahm. Reuters abenteuerliches Leben wurde 1940 von William Dieterle mit Edward G. Robinson in der Hauptrolle verfilmt: „A Dispatch from Reuters“. Die deutsche Fassung, die 1963 ins Fernsehen kam, erhielt den Titel „Ein Mann mit Phantasie“.
Reden über Corona – in China
Europäisches Tagebuch, 3.1.2021: Reden über Corona macht in China noch immer die Behörden nervös. Vor fünf Tagen wurde die chinesische Anwältin und unabhängige Journalistin Zhang Zhan zu vier Jahren Haft verurteilt. Im Februar 2020 war sie von Shanghai nach Wuhan gereist und hat die staatliche Nachrichtensperre über die Ausbreitung der Pandemie unterlaufen. Auf Youtube und Twitter berichtete sie über die Situation in den überfüllten Krankenhäusern und über ununterbrochen auf Hochbetrieb laufende Krematorien, über Menschenrechtsverletzungen und Inhaftierungen andere Journalisten und über Zwangsmaßnahmen gegen Familienangehörige von Opfern, die über ihre Notlage berichten wollten, während die staatlichen Medien die Pandemie schon für „unter Kontrolle“ erklärten. Am 14. Mai 2020 galt sie als vermisst. Kurz zuvor war sie verhaftet worden und wurde zunächst wochenlang ohne Anklage gefangen gehalten. Offenbar wurde sie gefoltert und 24 Stunden am Tag in Handschellen gehalten, nachdem sie im September in Hungerstreik getreten ist und seitdem mit einer Magensonde zwangsernährt wurde. Ihr Prozess dauerte drei Stunden. Sie ist damit die erste, aufgrund ihrer Berichterstattung über die Covid-19 Pandemie verurteilte Journalistin in China. Andere erwarten noch ihren Prozess. Die Europäische Union verlangt ihre Freilassung.
3.1.2020: Heute wurde Li Wenliang, ein Arzt in Wuhan, zusammen mit sieben Kollegen in der chinesischen Stadt auf eine Polizeistation zitiert und davor gewarnt, weiter „falsche Behauptungen zu verbreiten“ die „die gesellschaftliche Ordnung ernsthaft gestört“ hätten. Sie müssen unter Strafandrohung eine Schweigepflichtserklärung unterschreiben. Li Wenliang hat – angesichts der Serie von Lungenentzündungen im Krankenhaus von Wuhan – vor einigen Tagen in sozialen Netzwerken vor dem neuen Erreger gewarnt, der sich von Mensch zu Mensch verbreiten würde, und Ärzte aufgefordert, Schutzkleidung zu tragen. Die städtische Gesundheitskommission von Wuhan hat Mitteilungen ins Internet gestellt, die alle Krankenhäuser in Wuhan aufforderten, jeden Lungenentzündungspatienten mit unbekannter Ursache, der auf dem Fischmarkt in Wuhan gewesen war, zu melden.
Vor zwei Tagen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an ihrem Genfer Hauptsitz eine Erklärung herausgegeben: „Alle Indizien deuten darauf hin, dass der Ausbruch in Verbindung zu Ansteckungen auf einem Fischmarkt in Wuhan steht.“ Es gebe allerdings, so erklärt die WHO, keine klaren Hinweise auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch.
Die Wuhaner Gesundheitskommission äußert in einem Interview, dass die Untersuchung der Fälle nicht abgeschlossen sei und dass Experten der Nationalen Gesundheitskommission auf dem Weg nach Wuhan seien, um die Untersuchung zu unterstützen.
Das Veto und kein Sputnik Schock?
Europäisches Tagebuch, 20.11.2020: Die Kabale war zu erwarten. Dass die Mehrheit der EU-Mitglieder nun ernst machen wollen mit der Bindung von EU-Förderungen an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Standards hat das angekündigte Veto Polens und Ungarns gegen das EU-Budget, und damit auch gegen die 750 Milliarden umfassenden Hilfen zur Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitspolitischen Folgen der Corona-Krise, nach sich gezogen. Auch der gestrige EU-Sondergipfel hat an der Blockade des EU-Budgets durch Polen und Ungarn nichts geändert.
Gegen beide Länder läuft ohnehin schon ein EU-Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags aufgrund zahlreicher und wachsender Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Wissenschaften. Ungarn und Polen lassen wenige Gelegenheiten aus, immer wieder auszuloten, wie weit sie damit gehen können.
Viktor Orban behauptet nun, in Wahrheit ginge es der EU darum Ungarn zur Aufnahme von Migranten zu zwingen und bekommt dafür von der FPÖ in Wien Applaus.
Sowohl Polen wie auch Ungarn leiden in der Tat an einer grassierenden Emigration – gut ausgebildeter junger Menschen, die Ungarn und Polen verlassen um anderswo ihr Glück zu suchen. Die Vertreibung der Central European University aus Budapest ist nur ein Glied in einer langen Kette von entmutigenden Ereignissen, die diesen Aderlass beschleunigen.
Der EU hingegen geht es hingegen nicht zuletzt um die grassierende Korruption, die von einer eingeschüchterten Justiz nicht mehr bekämpft werden kann. Und um fehlende öffentliche Kontrolle korrupten Regierungshandelns angesichts einer Presselandschaft, die sich zum Beispiel in Ungarn schon fast vollständig in den Händen von Viktor Orban und seiner Gefolgschaft befindet.
Der mühsam zwischen Rat, EU-Kommission und Parlament ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass eine qualifizierte Mehrheit von 15 Staaten im Rat, die mindestens 65% der Bevölkerung der EU repräsentieren, EU-Gelder sperren kann, wenn droht, dass die Verwendung dieser Gelder keiner demokratischen, rechtstaatlichen Kontrolle mehr unterliegt. Damit ist zumindest ein erstes Signal an die Regierungen in Warschau und Budapest gerichtet, wohl auch an andere, die sich hier gemeint fühlen können.
Auch der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa attackiert nun die deutsche Ratspräsidentschaft dafür, den im Rat erst vor wenigen Tagen mit slowenischer Zustimmung ausgehandelten Kompromiss jetzt auch umsetzen zu wollen. Jansa droht selbst freilich kein Veto an. Wohl weil er nicht so recht weiß, was er sich damit einhandelt.
Das Veto Polen und Ungarns kann sich als Bumerang herausstellen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte droht schon damit, das reguläre EU-Budget als Nothaushalt weiterzuführen und den Corona-Fonds als bilaterale Vereinbarung der übrigen 25 Staaten zu verabschieden, wobei Polen und Ungarn dann leer ausgingen. Derweilen üben sich Polen und Ungarn in Kriegsrhetorik. Man führe einen „Freiheitskampf“ gegen die „Sklaverei“. In der polnischen Bevölkerung kommt das nicht schlecht an. Ungarn hingegen zündet die nächste Eskalationsstufe.
Viktor Orban setzt bei der Bekämpfung von Covid-19 demonstrativ auf den russischen Impfstoff Sputnik V, obwohl sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Verteilung von in der EU zugelassenen Impfstoffen geeinigt haben. Russlands Raumsonde Sputnik 1 löste im Westen 1957 den Sputnik-Schock aus, denn Russland war damit der erste Start eines künstlichen Erdsatelliten gelungen und das noch vor den USA. Sputnik 1 sendete ein Kurzwellensignal und verglühte schließlich nach 92 Tagen Piepsen in der Erdatmosphäre. Die Sputnik V Mission war schon ein Test für bemannte Raumflüge. An Bord waren zwei Hunde, 40 Mäuse und zwei Ratten, die immerhin wohlbehalten einen Tag später wieder auf der Erde landeten. Mit einem zweiten Sputnik Schock ist freilich nicht zu rechnen. Russland wird genug damit zu tun haben seine eigene Bevölkerung zu schützen. Derzeit steigt die Zahl der Corona-Toten auch in Russland dramatisch an. Das Warten auf das Sputnik-Wunder dauert noch an.
Über „illiberale Demokratie“ und die Lage des Rechtsstaates in Ungarn, über die Situation von Frauen zwischen Corona und Rechtspopulismus – und über die Emigration der Central European University nach Wien sprach Felicitas Heimann-Jelinek mit Professorin Andrea Petö am 10. September 2020 in Wien.
Die Stunde des Parlamentes
Europäisches Tagebuch, 6.10.2020: Gestern debattierte das Europäische Parlament den vorliegenden Bericht über die Demontage rechtsstaatlicher Prinzipien in einigen Mitgliedsländern. Eine turbulente Diskussion.
Seit Monaten ringen das Europäische Parlament und die Kommission um eine klare Linie gegenüber jenen Europäischen Staaten, die sich von rechtstaatlichen Standards verabschieden , auf dem Weg zur „illiberalen Demokratie“, also Staaten ohne freie Presse, ohne unabhängige Justiz, ohne Schutz von Minderheiten vor Willkür, Diskriminierung oder Verhetzung, ohne das politische Korrektiv einer wachen Zivilgesellschaft – Staaten also in denen das Volk nur noch an die Urne gerufen wird, um seine Führer im Amt zu bestätigen, die ohnehin schon vor der Wahl verkünden, dass sie auch bei einer Wahlniederlage nicht abtreten werden.
Ende September hat die Europäische Kommission erstmals einen EU-weiten Bericht über die Situation der Rechtstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten veröffentlicht, der wie erwartet besorgniserregend ausfällt. Dabei weist der Bericht nicht nur auf die wachsende staatliche „Kontrolle“ von Presse und Justiz in Ländern wie Ungarn und Polen hin, sondern auch auf erhebliche Defizite in Bereichen wie Korruptionsbekämpfung oder Gewaltenteilung, auch in anderen Staaten wie Bulgarien, Malta, Tschechien, Kroatien, der Slowakei oder Rumänien. Kommissionspräsidentin von der Leyen war bemüht, diplomatisch zu bleiben. „Wenngleich wir in der EU sehr hohe Standards in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit haben, besteht an verschiedenen Stellen Handlungsbedarf.“ Man werde „weiterhin mit den Mitgliedstaaten an Lösungen arbeiten“. Vizepräsidentin Véra Jourová wurde in einem Spiegel-Interview zuvor schon deutlicher, und bezeichnete Ungarn als „kranke Demokratie“, was ihr prompt Rücktrittsforderungen aus Budapest eintrug.
Im Zuge des 1,8 Milliarden Euro Deals der EU Kommission, mit dem die europäische Wirtschaft und insbesondere die am schwersten betroffenen Staaten nach dem Corona-Einbruch wieder in Schwung gebracht werden soll, hatten Kommission und Parlament auch einen wirksamen Mechanismus versprochen, um die Einhaltung rechtstaatlicher Regeln einzufordern. Polen und Ungarn haben von Anfang an deutlich gemacht, was sie davon halten – und im Rat eine Blockade der Wirtschaftshilfen angedroht. Hilfen von denen sie freilich selbst ebenfalls stark profitieren würden. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat vor einer Woche einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der eher den Eindruck eines zahnlosen Tigers macht. Kürzungen von EU-Finanzhilfen wären damit nur nach der Feststellung möglich, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit auch direkte Auswirkungen auf den Umgang mit Geld der EU haben. Die EU-Kommission wollte einen durchaus härteren Weg gehen und den Zugang zu Finanzmitteln generell von der Einhaltung der Rechtstaatlichkeit abhängig machen. Doch auch der deutsche Kompromissvorschlag, der im Zweifelsfall wohl völlig wirkungslos bleiben würde, scheitert natürlich am Veto aus Budapest und Warschau.
Doch auch die Niederlande, Belgien, Schweden, Dänemark und Finnland stimmen gegen die deutsche Vermittlung. Ihnen geht der Vorschlag verständlicherweise nicht weit genug.
Und so rüstet sich nun das EU-Parlament in dieser Frage endlich auch ins Spiel zu kommen.
Katarina Barley, die deutsche stellvertretende Präsidentin des EU-Parlaments erklärt dem Deutschlandfunk, dass man sich von Ungarn und Polen und ihrer Drohung, das ganze Budget platzen zu lassen keineswegs erpressen lassen will. „Wenn wir jetzt die Rechtsstaatlichkeit aufgeben, dann haben wir für die weiteren sieben Jahre Verhältnisse in der EU, wie sie unsere Bürgerinnen und Bürger auch nicht wollen, denn unsere Steuergelder gehen dann an Regime wie das von Orbán und Kaczynski, die sich vor allen Dingen Geld in die eigene Tasche schaufeln, aber ihre Länder zu Demokratien umbauen, die mit den Werten der EU nichts mehr zu tun haben.“ Schließlich wäre Ungarn auf die EU finanziell angewiesen.
In der Parlamentsdebatte gestern hielt der slowakische Abgeordnete und Berichterstatter des Parlaments zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Michal Simecka, eine bewegende Rede. Ungarn sei keine Demokratie mehr, und Polen auf dem Wege dazu. Auch Bulgarien sei auf einem gefährlichen Weg, dort würden Menschen seit drei Monate erfolglos gegen die grassierende Korruption der Regierung protestieren. Er selbst hätte vor 1989 schon erlebt, was es heißt, wenn Menschen willkürlich verhaftet werden oder ihre Arbeit verlieren, weil sie ihre Meinung sagen. Das Bild der EU als „Garant für Demokratie“ sei stark beschädigt. Nur ein „besseres Monitoring“ wie es die EU-Kommission fordere reiche nicht. Die „Herrschaft des Rechts“ müsse auch durchgesetzt werden können. Die im Bericht kritisierten Regierungen reagierten unterschiedlich, während Bulgarien und Rumänien weitere Reformen im Sinne der EU-Empfehlungen ankündigten, griffen Polen und Ungarn die EU frontal an und wiesen jede Kritik zurück. Morgen wird über den Bericht im Parlament abgestimmt. Eine breite Zustimmung wird erwartet. Dann wird sich zeigen, ob das Parlament gegenüber dem Europäischen Rat, in dem Länder wie Polen oder Ungarn mit ihrem Veto-Recht gegen das Hilfs-Budget drohen, auch standhaft bleibt.
Im Internet rücken derweilen die treuesten Freunde von Orbans“ neuer Demokratie“ schon zum Entsatz aus, allen voran Henryk Broder, der sich im rechten Bloggerparadies „Achse des Guten“ über die „Domina“ Barley lustig machen darf. Sexismus darf bei diesem Männerbund ja nicht fehlen.
„Kommt ein Vogerl geflogen“
Ein dichtes Kommunikationsnetz macht die Welt zu einem scheinbar überschaubaren Raum, holt internationale Nachrichten in nur wenigen Minuten in unsere Wohnzimmer und erlaubt den Austausch mit Freunden und Familie über Kontinente hinweg.
Einer der Pioniere dieser globalen Kommunikation war Paul Julius Reuter (1816–1899), in Kassel als Sohn eines Rabbiners geboren und 1845 zum Christentum konvertiert. Er erkannte früh die Bedeutung möglichst schneller Nachrichtenübermittlung. Erste Erfahrungen machte er in der ältesten europäischen Nachrichtenagentur, bei Agence Havas in Paris. In jenen Jahren wurden die ersten Telegrafiestrecken eingeweiht, auch zwischen Paris und Berlin, wenn auch noch mit vielen Lücken. Reuter nützte die Gunst der Stunde und investierte zunächst in 45, bald in 200 Brieftauben, mit denen er die Verbindungslücken zwischen Brüssel und Aachen schloss. 1851 ließ sich Reuter in London nieder, wo er im Gebäude der Stock Exchange eine Telegrafie-Station einrichtete und die Börsenneuigkeiten zwischen Paris und London hin- und herschickte. Bald konnte er das Vertrauen der großen Medienhäuser gewinnen, die sich von ihm mit wichtigen Nachrichten aus aller Welt versorgen ließen. Reuter revolutionierte den internationalen Journalismus, indem er neutrale, möglichst objektive Nachrichten zur Verfügung stellte.
^ Paul Julius Reuter, Kopie eines Gemäldes von Rudolf Lehmann, 1869, © Internationales Zeitungsmuseum Aachen
< Brieftaube, © Bettman, Getty Images
> Vordruck für eine „Freikarte“ für einen Bordellbesuch, © https://www.witzbold.org/bordell-gutschein.html
Die Kehrseite heutiger globaler Kommunikation ist die Produktion von Fake News. Besonders durch die Sozialen Medien verbreiten sich falsche Nachrichten innerhalb weniger Stunden weltweit. Einmal im Netz, ist es kaum mehr möglich, in Umlauf gebrachte Falschmeldungen rückgängig zu machen. Währenddessen gerät seriöser Journalismus auch in einigen EU-Ländern in Gefahr – durch zunehmende Gleichschaltung der Presse, aber auch durch Verunglimpfung und juristische Verfolgung von Journalisten. In Österreich werden vor allem Boulevardzeitungen mit Steuermitteln gefördert, besonders im Krisenjahr 2020.
„Bordellgutscheine“ wie der abgebildete sind seit 1989 im Umlauf. Ursprünglich als Faschingsscherzartikel gedacht – haben sich Varianten dieses Gutscheins im deutschsprachigen Raum rasant verbreitet, heute meist mit dem Zusatz „für Flüchtlinge“. Mit der Veröffentlichung dieser „Gutscheine“ werden bewusst Falschmeldungen über die Flüchtlingspolitik gestreut. Auch wird suggeriert, dass Flüchtlinge ihren Sexualdrang nicht kontrollieren könnten und deshalb von der Regierung Gutscheine für einen gratis Bordellbesuch bekämen, um zu verhindern, dass einheimische Mädchen vergewaltigt würden.
Andrea Petö (Wien) über die Schließung der Central European University durch die Regierung Orban: