Europäisches Tagebuch, 22. Januar 2023: Heute vor 112 Jahren wurde Bruno Kreisky in Wien geboren.
von Hanno Loewy
Bis heute polarisiert in Österreich die Erinnerung an den wohl populärsten Bundeskanzler der Republik, der zugleich alles andere als ein typischer Politiker Österreichs war.
Gerade seine politischen Gegner ließen daran keinen Zweifel aufkommen. 1970 kandidierte ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus mit der Parole „Ein echter Österreicher“. Womit, so das Kalkül, über den Juden und Emigranten Kreisky eh schon alles gesagt wäre. Aber Bruno Kreisky führte die SPÖ zur relativen Mehrheit von 48,5 %. Und nach dem auch unter seinen Freunden höchst umstrittenen Zwischenspiel eines Kabinetts mit Duldung durch die FPÖ erreichte die SPÖ dreimal hintereinander mit Kreisky eine absolute Mehrheit. Lang ist‘s her, möchte man sagen.
Kreisky hatte keine Skrupel auch mit ehemaligen Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. Und zwar gerade weil er sich nicht sagen lassen wollte, er würde als Jude Politik machen. Kreisky war vor allem eines, ein europäischer Politiker und die eigene Erfahrung von Verfolgung und Exil hatte ihn seinen eigenen österreichischen Patriotismus gelehrt: der darin bestand, kein Nationalist sein zu wollen. Und schon gar kein jüdischer Nationalist.
Das sollte ihn schließlich noch in eine Auseinandersetzung treiben, in der weder sein Gegner noch er selbst irgendwelchen Ruhm ernten konnten. Seine erbitterte Fehde mit dem erzkonservativen Nazi-Jäger Simon Wiesenthal steht bis heute wie ein erratischer Block in der österreichischen Erinnerungslandschaft.
Simon Wiesenthal, dessen gute Beziehungen zur ÖVP kein bisschen vom traditionellen Antisemitismus der Christlichsozialen getrübt war, skandalisierte genüsslich Kreiskys Hemmungslosigkeit, mit „Ehemaligen“, also früheren Nazis zusammenzuarbeiten, ob solchen in der FPÖ oder erst Recht in der SPÖ. Vier der dreizehn Minister von Kreiskys sozialdemokratischem Kabinett 1970 hatten der NSDAP angehört. Und FPÖ-Chef Friedrich Peter, mit dem Kreisky 1975 eine Koalition erwog, war in einer SS-Terroreinheit aktiv gewesen, was Wiesenthal ebenfalls gezielt an die Öffentlichkeit brachte.
Kreiskys darauffolgende, untergriffige Ausfälle gegen Wiesenthal („Nazi-Kollaborateur“) sind tragisch legendär. Österreich konnte dabei zuschauen, wie zwei Juden sich öffentlich an die Gurgel gingen. Aber hinter dem Streit stand keineswegs nur Kreiskys politisches Kalkül, sich bei Teilen der Wählerschaft anzudienen. Dahinter stand – mehr oder weniger unausgesprochen – auch die Auseinandersetzung über jüdische Erfahrungen aus denen Wiesenthal und Kreisky diametral entgegengesetzte Schlüsse gezogen hatten.
Kreisky, am 22. Januar 1911 in Wien geboren, war schon in der Jugend in sozialistischen Organisationen aktiv und seine traumatischen Erfahrungen begannen nicht erst 1938 mit dem Nationalsozialismus, sondern im österreichischen Faschismus des Ständestaats. 1936 wurde der junge Sozialist Kreisky zu Kerkerhaft verurteilt. Er hatte allen Grund, den politischen Nachkommen der Austrofaschisten ebenso zu misstrauen, wie den Nationalsozialisten, die ihn 1938 ins Exil trieben. Kreisky überlebte in Schweden und lernte dort auch den aus Deutschland emigrierten Willy Brandt kennen – der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.
Kreisky blieb ein passionierter Europäer, dem Zionismus hingegen konnte er nichts abgewinnen. Für ihn war es keine Frage, am Aufbau eines demokratischen Österreichs nach 1945 mitzuwirken. Seine vier Kanzlerschaften waren geprägt von Reforminitiativen in der Sozialpolitik wie in der Bildungspolitik, genauso wie im Familien- und Strafrecht – und wie bei so vielen Sozialdemokraten von einem Vertrauen in Aufklärung und technischen Fortschritt, ein Vertrauen, das ihn auch blind sein ließ für die neuen Fragen, die mit der Auseinandersetzung um das Atomkraftwerk Zwentendorf auf die Tagesordnung kamen. Fragen nach dem Umgang des Menschen mit seiner Umwelt. Auch die Niederlage bei der Volksabstimmung hinderte ihn jedoch nicht, 1979 zum vierten Mal die Wahlen zu gewinnen.
Während Simon Wiesenthal Israel als Anker seiner eigenen Identität in Österreich verstand, versuchte Kreisky im Nah-Ost Konflikt zu vermitteln. Was ihn in Widersprüche verwickelte. Er pflegte Beziehungen zu arabischen Politikern wie Sadat und Gaddafi, und verhandelte zugleich mit Moskau diskret über die Freilassung jüdischer Sowjetbürger, die nach Israel emigrieren wollten.
Was Kreisky am besten beherrschte, war die Kunst, mit der Öffentlichkeit zu spielen. Seine Pressekonferenzen sind unvergessen. Nicht unbedingt, worum es dabei jeweils ging. Aber der Stil war ein neuer. Statt Verlautbarungen gab es Kommunikation. Und manchmal auch Provokation. Willy Brandt, Weggefährte Kreiskys über fünfzig Jahre, hielt 1990 auf dem Wiener Zentralfriedhof die Grabrede für ihn. „Lebewohl, mein lieber, mein schwieriger Freund.“