Während sich in Folge der Französischen Revolution die bürgerliche Gleichstellung für männliche Bürger in Europa durchsetzte, war die Gleichberechtigung der Frauen kein Ziel der Verfechter von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gewesen. Erst um 1900 formierte sich eine internationale Frauenbewegung.
Feministische Pionierin in Ungarn war die Pazifistin Rózsika Schwimmer (1877–1948). Zur Durchsetzung emanzipatorischer Ziele gründete sie verschiedene Frauenvereine und gab gemeinsam mit Vilma Glücklich (1872–1927) die wichtigste feministische Zeitschrift Ungarns – „Frau und Gesellschaft“ – heraus. 1913 organisierte sie den VII. Internationalen Frauenstimmrechtskongress in Budapest und brachte damit erstmals das Frauenwahlrecht auf die politische Agenda. Anschließend ging sie als Pressesprecherin der International Woman Suffrage Alliance nach London, das sie mit Kriegsbeginn als „feindliche Ausländerin“ verlassen musste. Den Krieg verbrachte sie in den USA. 1918 kehrte sie nach Ungarn zurück, wo nach der gescheiterten Revolution 1919 der „Weiße Terror“ unter Miklós Horthy hauptsächlich auf Linke und Juden zielte. So emigrierte sie endgültig in die USA, wo sie als Staatenlose lebte. Als Pazifistin hatte sie sich geweigert zu unterschreiben, dass sie das Land im Notfall mit Waffen verteidigen würde.
^ Rózsika Schwimmer, Budapest 1913, © Carrie Chapman Catt Albums. Bryn Mawr College Libraries, Special Collections.
< Briefmarke zum Internationalen Frauenstimmrechts-Kongress 1913 in Budapest, © Jüdisches Museum Hohenems
> Propagierung von Orbans „Aktionsplan für Familienschutz“, 2019, © Gábor Ligeti
1912 schrieb Schwimmer „Obwohl die ungarische Frau als Gattin eine viel vorteilhaftere Stellung hat als die deutsche, englische, holländische usw., steht die Mutter in Ungarn unter denselben Gesetzen der Unlogik, Ungerechtigkeit und Grausamkeit, die fast die ganze menschliche Gesellschaft beherrschen. Poesie und Prosa verherrlichen die Mutterschaft, stellen die Mutter als Typus des Vollweibes dar. Außerhalb dieser luftigen Regionen jedoch ist die Mutter, die eheliche wie die uneheliche, Trägerin der Dornenkrone.“
Mehr als hundert Jahre später trifft ihre Analyse wieder zu. Nach Revolution und Konterrevolution ist Ungarn erneut von Abwanderung und Abschottung gegen alles „Fremde“ geprägt, und von der Demontage der Demokratie. Gegen die niedrige Geburtenrate initiierte Viktor Orbán im Frühjahr 2019 eine neue Familienpolitik: Junge, ungarische, verheiratete Frauen mit mehreren Kindern sollen finanziell großzügig unterstützt werden. „Familienpolitik“ soll gegen vorgeblich drohende „Überfremdung“ helfen.
Bei der Kampagne unterlief der ungarischen Regierung allerdings ein peinlicher Lapsus: Das auf dem Stockfoto einer Agentur abgebildete „Paar“ wurde im Internet in anderen Versionen unter dem Schlagwort „distracted boyfriend“ schon lange vor der Familienplan-Kampagne als sogenanntes „Meme“ verwendet, um Untreue darzustellen.
Andrea Petö (Wien) über Frauenrechte, Genderstudien und Corona: