Simone Veil: Präsidentin eines Parlaments im Werden

Europäisches Tagebuch, 30.6.2021: Heute vor 5 Jahren starb Simone Veil, die erste Präsidentin des direkt gewählten Europäischen Parlamentes. Bis heute kämpft dieses Parlament darum, wirklich eines zu werden, das seinen Namen verdient: Die Repräsentanz eines Europäischen Souveräns. Davon sind wir immer noch weit entfernt. Simone Veil 1979 Präsidentin dieses Traums wurde, hat als 18jährige das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt. Damals hieß sie noch Simone Jacob.

1944 war ihre Familie von der Gestapo verhaftet worden. Ihr Vater und ihr Bruder wurden nach Litauen deportiert und ermordet. Sie selbst wurde im Sommer 1944 gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Auschwitz und im Januar 1945 auf einem Todesmarsch nach Bergen-Belsen verschleppt. Dort starb ihre Mutter im März an Typhus, bevor das Lager im April von der britischen Armee befreit wurde.
1946 heiratete Simone Jacob, inzwischen Jurastudentin am Institut d’études politiques de Paris (Science Po) den ein Jahr älteren Studenten Antoine Veil aus Blamont, einen Nachkommen der zweihundert Jahre zuvor von Hohenems ins französische Blamont ausgewanderten Wilhelmine Löwenberg, deren so ausgesucht höfliche und in Hebräisch-deutscher Schönschrift verfassten Briefe an die Eltern heute eine Vitrine im Jüdischen Museum zieren.

Simone Veil wurde zunächst Richterin, dann Beamtin im Justizvollzug, um schließlich als Politikerin vor allem für die Rechte von Frauen einzutreten. Als Gesundheitsministerin ab 1974 sorgte sie für einen erleichterten Zugang zu Verhütungsmitteln. 1975 erreichte sie die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Das von ihr nach hartem Kampf durchgefochtene Gesetz zur Fristenregelung ist bis heute als Loi-Veil (Veil Gesetz) bekannt.
Als 1979 die Bürgerinnen und Bürger Europas zum ersten Mal direkt ihr Parlament wählen durften, kandidierte sie an der Spitze der UDF, der französischen Liberalen und wurde vom Parlament zur ersten Präsidentin gewählt. Bis 1993 gehörte sie dem EU-Parlament an, zuletzt war sie 1989 als Spitzenkandidatin der Liste Le Centre pour l’Europe eingezogen, nach dem die französischen Liberalen und Gaullisten in ihren Augen nicht entschieden genug für die europäische Integration eingetreten waren.
1998 sollte sie Mitglied des französischen Verfassungsgerichtes werden. Viele Jahre engagierte sie sich auch für die Erinnerung an die Shoah in Frankreich. 2008 wurde sie schließlich auch in die Académie Francaise gewählt.
Ein Jahr nach ihrem Tod 2017 wurde Simone Veil in einem Staatsakt ins Pariser Panthéon überführt und von Staatspräsident Macron mit folgenden Worten vor allem als Französin gefeiert: „Mit Simone Veil treten hier Generationen von Frauen ein, die Frankreich geschaffen haben. Möge ihnen allen heute durch sie Gerechtigkeit widerfahren.“ 15 Millionen Zwei-Euro-Münzen mit ihrem Konterfei und ihrer Häftlingsnummer aus Auschwitz wurden zu diesem Anlass geprägt und in Umlauf gebracht.

Solidarität und ihr Gegenteil

Rückblick, 29.6.2020: Der republikanische Gouverneur von Texas bedauert die frühen Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen, wie er in lokalen Fernsehsendern zugibt. Die Infektionszahlen in Texas und anderen Bundesstaaten im Süden und Westen der USA nehmen rasant zu. In Houston, der größten Stadt in Texas, geraten die Intensivstationen nun an die Grenze ihrer Kapazitäten. Auch in Mississippi werden die Intensivbetten knapp. In Texas und Florida werden Bars und Restaurants, aber auch öffentliche Strände teilweise wieder geschlossen, und Teilnehmerzahlen von Veranstaltungen beschränkt. Sogar Vizepräsident Mike Pence sagt Wahlkampfveranstaltungen im Süden ab und fordert nun dazu auf, Masken zu tragen. Bislang machte sich Präsident Trump über das Maskentragen regelmäßig lustig.
Ebenso starke Zuwächse an Neuinfektionen verzeichnet Brasilien. Insgesamt steigt die Zahl der weltweit täglichen Neuinfektionen inzwischen auf 189.000. Seit Beginn der Pandemie zählt die WHO 500.000 Todesfälle.

Eine Online-Benefizveranstaltung brachte am Samstagabend Showstars, Models, Sportler und Politiker zusammen, als Höhepunkt des Spendenmarathons für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen lud gemeinsam mit der NGO Global Citizen zu einem von Dwayne Johnson moderierten Online-Konzert mit Musikern wie Miley Cyrus, Shakira und Coldplay und Videobotschaften von David Beckham, Naomi Campbell, Angela Merkel und dem Chef der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus. Insgesamt seien inzwischen 15,9 Milliarden Euro an Spenden zusammengekommen. Merkel verlangte, „Impfstoffe, Tests und Medikamente müssen weltweit verfügbar, bezahlbar und zugänglich sein“. Ghebreyesus wies auf Menschen in Slums und Flüchtlingslagern hin, und forderte, „die Ärmsten und Verwundbarsten zu schützen“. Campbell betonte, dass Schwarze derzeit besonders stark unter den Folgen der Corona-Pandemie litten.

In der Europäischen Union gibt es weiter Widerstand gegen solidarisches Handeln. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz lehnt immer noch gemeinsame Corona-Hilfe in Form von Zuschüssen ab. „Wir wollen einen Einstieg in eine dauerhafte Schuldenunion vermeiden und treten daher für eine klare zeitliche Befristung der Nothilfe und für Kredite anstelle von Zuschüssen ein“, verrät er der deutschen Zeitschrift Focus. Die Regierungschefs hätten eine große Verantwortung gegenüber den eigenen Steuerzahlern.

 

 

Raphael Lemkin: Dem Verbrechen einen Namen geben

von Felicitas Heimann-Jelinek

Europäisches Tagebuch, 24.6.2021: Im August 1941, im Jahr der systematischen Errichtung der nationalsozialistischen Vernichtungslager, reagierte Winston Churchill angesichts des einsetzenden Massenmords an den europäischen Juden verstört mit den Worten: „We are in the presence of a crime without a name“, „wir gewärtigen ein Verbrechen ohne Namen.“ Der Mann, der dem Verbrechen einen Namen geben und für dessen zukünftige Ahndung durch den Internationalen Strafgerichtshof Sorge tragen sollte, wurde heute vor 121 Jahren in einem Dorf in Weißrusslandland geboren, nicht weit von Wilna entfernt: Raphael Lemkin.

An der Universität Lemberg wurde er zum Juristen promoviert. Anlass für seine Studienwahl war die selbstgestellte Frage, warum das türkische Massaker an einer Million armenischer Frauen, Kinder und Männer keine Straftat, die Tötung einer einzelnen Person nach allgemeingültigem Recht aber sehr wohl ein Verbrechen darstelle.

Im Januar 1933 wurde Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannt, die Weimarer Republik zerschlagen und eine zentralistische Diktatur eingeführt. Gegner wurden schon ab März in eigens errichteten Lagern interniert. Zu dieser Zeit war Lemkin bereits ein angesehener Anwalt in Warschau, er war bewandert im internationalen Recht und gut vernetzt. Und er ahnte, dass es sich hier nur um den Auftakt zu etwas viel Schlimmerem handelte.

Lemkin erarbeitete einen Vorschlag, der die Vernichtung nationaler, „rassischer“ und religiöser Gruppen international als Verbrechen definieren sollte, und schickte ihn an eine internationale Konferenz. Doch er fand wenig Unterstützung, selbst als der Antisemitismus zur nationalen Politik Deutschlands wurde. Der faschistische Taumel, der einen großen Teil der Welt erfasst hatte, machte viele blind und taub. Als Hitler 1939 in Polen einmarschierte, wusste Lemkin, dass sich seine Ahnungen erfüllen würden.

Er floh aus Warschau, schlug sich zu seinen Eltern durch, nur um sich für immer von ihnen zu verabschieden. Gemeinsam mit 38 weiteren Familienangehörigen wurden sie als Juden von den Nazis ermordet. Ihm selbst gelang die Flucht in die USA, wo ihm ein Freund eine Stelle an der Duke Law School in North Carolina verschaffte.

Raphael Lemkin suchte fieberhaft nach einem Begriff, der dem Verbrechen, das vor den Augen der Welt stattfand, gerecht werden sollte. Der Begriff Massenmord, so argumentierte er, sei für die Ermordung der europäischen Juden nicht adäquat, da er die nationale, ethnische oder religiöse Motivation des Verbrechens nicht inkludiere. Auch Denationalisierung fasse den Tatbestand nicht, da er auf kulturelle, aber nicht unbedingt auf biologische Auslöschung abziele. Seine Überlegungen führten ihn schließlich zu einem Neologismus: Genozid. Das Wort ist zusammengesetzt aus dem altgriechischen genos (Klan, Rasse, Nachkommenschaft, Geschlecht) und dem lateinischen caedere (töten), die deutsche Übersetzung lautet Völkermord. Die Begriffsfindung war jedoch nur die Voraussetzung für das eigentliche Ziel. Lemkin setzte alles daran, dass Genozid als international justiziable Straftat behandelt und verurteilt werden sollte.

Bitter enttäuscht war Lemkin von den Nürnberger Prozessen, in denen wenig geschah, um den Völkermord als internationales Verbrechen zu kodifizieren – und nichts, um ihn in Zukunft zu verhindern. Aber er gab nicht auf, korrespondierte, lobbyierte, formulierte und überarbeitete den Text für eine Völkermordkonvention. Und tatsächlich war er nach unermüdlichem Kampf erfolgreich. Am 9. Dezember 1948 nahm die Organisation der Vereinten Nationen seinen Vorschlag einer Genozid-Konvention an. Wenig später erkrankte Lemkin so schwer, dass er hospitalisiert werden musste. Die Ärzte fanden die Ursache nicht. Er diagnostizierte sich glücklich selbst mit „Genoziditis. Erschöpfung durch die Arbeit an der Völkermordkonvention“.

Der Mann, der dem größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts einen Namen gegeben und die Straftat des Genozids völkerrechtlich exakt definiert hat, verstarb 1959 arm und alleine in einer Einzimmerwohnung in New York.

 

Wen trifft Corona? Alle. Und manche noch mehr

Rückblick, 22.6.2020: In der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück sind von 6500 dort Beschäftigten inzwischen 1330 Menschen an Corona erkrankt. Rund die Hälfte der Arbeiter sind zu Billiglohn-Verhältnissen bei Subunternehmen angestellt, die meisten davon kommen aus Rumänien und Polen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt, angesichts wachsender Hasspostings in sozialen Netzwerken, davor, die Menschen, die „im Niedriglohnbereich unter schlechten Wohnverhältnissen die preiswerte Fleischproduktion in bestimmten Betrieben gewährleistet haben” für diesen neuen Ausbruch der Epidemie verantwortlich zu machen. Stattdessen seien die Betriebe gefordert.
SPD-Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans fordert eine Grundsatzdebatte über Fleischpreise und Verteilungsgerechtigkeit: „Wenn Klein- und Mittelverdiener in Deutschland ihren Lebensstandard nur sichern können, weil Osteuropäer in unseren Schlachthöfen oder Näherinnen in Bangladesch für unsere Textilien ausgebeutet werden, dann läuft etwas gewaltig schief.“

Die WHO meldet eine neue Rekordzahl von Corona-Infektionen weltweit. Die meisten der 183.000 neuen Fälle sind nun in Nord und Südamerika zu verzeichnen. Brasiliens geschönte offizielle Todeszahlen haben inzwischen die Marke 50.000 überschritten. In den USA sind es inzwischen über 120.000. Insbesondere in bislang weniger betroffenen Bundesstaaten nehmen die Corona-Infektionen jetzt drastisch zu. Vielfach werden Schutzmaßnahmen und Menschen, die Masken tragen, von republikanischen Gouverneuren und anderen Politikern offen verhöhnt. Dem Wall Street Journal gegenüber erklärt Trump, die Maske sei für viele Menschen ja nur ein Instrument, um gegen ihn Stimmung zu machen. Sein Wahlkampfauftakt in Tulsa hingegen, dem Ort eines legendären, blutigen Massakers eines weißen Mobs an Afro-Amerikanern vor hundert Jahren, war nicht nur eine gezielte Provokation gegen die Menschenrechte. Das Ganze geriet jetzt auch zum Manifest seiner Anhänger gegen Corona-Vorsichtsmaßnahmen.

Die Teilnehmer der Wahlkampfveranstaltung sollten bei ihrer Anmeldung einer Verzichtserklärung zustimmen, und unterschreiben, dass sie die Veranstalter im Falle einer Sars-CoV-2-Infektion nicht verklagen würden. Angaben zu einer Maskenpflicht oder anderen Schutzmaßnahmen bei den Events fanden sich auf der entsprechenden Website nicht. Aber das war auch kaum nötig, die meisten Teilnehmer trugen demonstrativ keine Schutzmasken.
Der Wahlkampfauftakt verlief dennoch nicht nach dem Geschmack Donald Trumps. Ein Drittel der Plätze blieb leer. Das lag auch daran, dass sich offenbar tausende von jungen Leuten Karten reservierten um sie bewusst leer zu lassen. Allein daran kann es aber nicht gelegen haben, dass die von Trump erwarteten tausenden von Fans im Freien ebenfalls ausblieben, und die Bühne für die Übertragung wieder abgebaut werden musste, um die peinlichsten Bilder zu vermeiden.

Ermüdung

20.6.2021: Nichts neues aus der österreichischen Flüchtlingspolitik. Der Türsteher der Nation, Karl Nehammer, schmiedet Bündnisse gegen “illegale Migration” mit osteuropäischen Regierungen, die sich um Recht und Gesetz immer weniger scheren und deren Methoden der Grenzsicherung mit den Menschenrechten auf Kriegsfuß stehen. In den Lagern auf europäischen Boden herrschen die gleichen Zustände wie von jeher, nur dass es jetzt dort heiß ist und nicht kalt. Und Österreich weigert sich nach wie vor, Flüchtlinge aus diesen Lagern aufzunehmen. Nichts neues unter der Sonne. Die Arroganz der Macht setzt auf Ermüdung. Und das ist recht erfolgreich.

20.6.2020: Im Rahmen einer Pressekonferenz der Grünen zum Weltflüchtlingstag hat die Bosnische Flüchtlingshelferin Zehida Bihorac gestern eine Dokumentation von 500 belegten Fällen massiver Gewalt und illegalen Push-backs gegen Flüchtlinge an der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien präsentiert. Es geht um Gewalt von Polizeikräften auf beiden Seiten. „Es wird immer schlimmer. Täglich kommen die Menschen verletzt, geschlagen und gefoltert von der Grenze zurück. Ich bitte euch als Europäer: Helft uns und helft euch, weil auch Bosnien-Herzegowina ist ein Teil von Europa“, sagte Bihorac, die sich seit Jahren in Velika Kladusa um Geflüchtete kümmert. Gezeigt wurden auch Aufnahmen aus dem bosnischen Camp „Miral“, wo Polizisten mit Knüppeln auf wehrlose Flüchtlinge einschlagen. Die verantwortlichen Minister der österreichischen Bundesregierung und Kanzler Kurz weigern sich nach wie vor, bedrohte Flüchtlinge innerhalb Europas aufzunehmen, oder die Probleme auf dem Balkan überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen. Die Erfolgsgeschichte von der angeblichen „Schließung der Balkanroute“ will man sich nicht nehmen lassen, „koste es was es wolle“.

Kinderschutz auf ungarisch

Europäisches Tagebuch  18.6.2021: Vor drei Tagen hat das ungarische Parlament eine Gesetzesnovelle unter der Überschrift:  “Änderungen von einigen Gesetzen zum strengeren Vorgehen gegenüber pädophilen Kriminellen sowie im Interesse des Kinderschutzes”. Gemeint ist damit die öffentliche Verteufelung von Homosexuellen. Für die Gesetzesvorlage stimmten Abgeordnete der von Orban angeführten Regierungspartei Fidesz sowie Parlamentsmitglieder der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik. Alle anderen Oppositionspolitiker, bis auf einen, verließen aus Protest den Parlamentssaal und nahmen an der Abstimmung nicht teil. Das Votum ging dementsprechend 157 zu eins aus.
Das Gesetz verbietet Bücher und Filme in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht – und jegliche Bildungsprogramme und Aufklärungsbücher, die das Thema zum Gegenstand haben. Auch Werbung, die Homosexuelle oder Transsexuelle als “normal” darstellen, ist verboten. Damit stellt sich die Regierung Urban und die Mehrheit des ungarischen Parlaments gegen alle Diskriminierungsverbote, die inzwischen angeblich zu den europäischen “Grundwerten” gehören, und vor allem zum gesetzlichen Grundlagen der Gemeinschaft. Mit dieser Kampfansage fordert Urban die EU nun freut offen heraus. Die Frage bleibt, ob die EU sich als zahnloser Tiger erweisen wird.

Rückblick, 18.6.2020: Der Europäische Gerichtshof entscheidet zugunsten der Klage der Europäischen Kommission gegen das ungarische NGO-Gesetz aus dem Jahr 2017, dass Nichtregierung-Organisationen, die Spenden aus dem Ausland erhalten, benachteiligt und öffentlich an den Pranger stellt. Das Gesetz richtet sich in der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere gegen Stiftungen von George Soros, gegen den der ungarische Ministerpräsident Orban seit Jahren antisemitische Kampagnen fährt, mit denen er für sich im Lande erfolgreich Stimmung macht. Die von George Soros gegründete Central European University, die dazu beitragen sollte, eine demokratische und liberale Wissenschaftspolitik zu unterstützen, hat er auf diese Weise inzwischen aus Budapest nach Wien vertrieben. Neben dem NGO-Gesetz gab es die unterschiedlichsten Denunziationen und Schikanen. Von Orban kontrollierte Zeitungen veröffentlichten Listen von angeblichen „Soros-Söldnern“ und Strafverfahren schüchterten Kritiker seiner Asyl-Politik ein, denen Strafen wegen Begünstigung von Schlepperei angedroht wurden, selbst wenn es sich dabei nur um Vorlesungen an der Central European University über Migrationspolitik ging.
Die Luxemburger Richter gaben der EU-Behörde nun Recht und sprachen von »diskriminierenden und ungerechtfertigten Beschränkungen«. Diese verstießen sowohl gegen die EU-Verträge als auch gegen die Charta der EU-Grundrechte. Die Luxemburger Richter wiesen in ihrem Urteil zudem darauf hin, dass das NGO-Gesetz die in der Grundrechte-Charta verankerten Rechte auf Versammlungsfreiheit, auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Schutz personenbezogener Daten verletze. Es ist freilich nicht zu erwarten, dass das Luxemburger Urteil Eindruck auf Orban machen wird. Auf ähnliche Urteile reagierte er bislang mit weiteren Verschärfungen seiner Politik.

“Corona ist nicht gefährlich”

Rückblick, 17.6.2020: Gestern hielt der Vorsitzende der FPÖ, Norbert Hofer, auf einer FPÖ-Demonstration am Viktor-Adler-Markt in Wien eine seiner üblichen Hetzreden. Die seinem Ruf als das “gemäßigte” Gesicht der Partei seltsamerweise keinen Abbruch tun.
„Ich fürchte mich nicht vor Corona, Corona ist nicht gefährlich. Da ist der Koran gefährlicher, meine Lieben, als Corona.“ Hofer kassiert dafür nun einige Anzeigen. Aber das gehört wohl zum Kalkül. Denn so kann er sich einmal mehr als Opfer inszenieren. Nach deutlicher Kritik an Hofer seitens muslimischer Gemeinden, der protestantischen Kirche und der Israelitischen Kultusgemeinde, reagiert nach einigen Tagen auch die katholische Kirche mit dem eher allgemeinen Aufruf, keine Religion „öffentlich schlecht zu machen“, so Kardinal Schönborn.

Wie “ungefährlich” Corona ist, erleben derzeit vor allem die Ärmsten. Der neueste Ausbruch der Corona Infektion in einem Deutschen Schlachtbetrieb wirft erneut ein Schlaglicht auf die besondere Gefährdung von Arbeitskräften in Billiglohnsegmenten, vor allem Wanderarbeiter aus Osteuropa, die unter besonders prekären und beengten Verhältnissen in irgendwelchen substandard Wohnheimen untergebracht werden. Mindestens 650 Neuinfektionen in der Fleischfabrik Tönnies in Westfalen sind vermutlich darauf zurückzuführen. Auch in Österreich arbeiten Billig-Arbeitskräfte nach wie vor unter menschenunwürdigen Verhältnissen, zum Beispiel bei Spargelbetrieben im Marchfeld, die ihre Arbeitskräfte aus Osteuropa in skandalösen Unterkünften unterbringen.

Sicherung der Außengrenzen

Rückblick, 13.6.2020: Seit einigen Tagen häufen sich Berichte über Misshandlungen von Flüchtlingen. Kroatien „sichert“ die EU-Außengrenze und sichert sich damit vor allem den Beifall aller europäischen Rechtspopulisten von Sebastian Kurz bis Viktor Orban. Flüchtlinge, die von Bosnien und Herzegowina versuchen nach Kroatien zu gelangen, sollen nach Ermittlungen von Amnesty International wiederholt geschlagen, getreten und misshandelt werden. Amnesty berichtet von zahlreichen komplizierten Knochenbrüchen und schweren Kopfwunden. Das Kroatische Innenministerium weist alle entsprechenden Vorwürfe umgehend zurück. Die EU-Kommission verlangt Aufklärung: „Wir sind sehr besorgt über die Vorwürfe unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von Migranten und Asylsuchenden an der kroatischen Grenze zu Bosnien und Herzegowina“. Damit bezieht die EU-Kommission zum ersten Mal deutlich Stellung. Schon im Januar hatten sich Berichte gehäuft, dass es regelmäßig und systematisch zu Gewalttaten kroatischer Grenzbeamten gegen Flüchtlinge komme. Die schwedische EU-Abgeordnete Malin Björk hatte sich an der kroatischen Grenze selbst ein Bild davon verschafft und vergeblich versucht eine eindeutige Reaktion der EU-Kommission zu erreichen.
Auch das Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen fordert nun eine unabhängige Kommission zur Prüfung der Vorwürfe.

Europaplätze

Europaplätze gibt es in vielen Städten. Sie verkörpern Verbindungen und politische Bekenntnisse zu Europa. Mal mehr mal minder mit Leben erfüllt. Wir haben – gemeinsam mit dem Schweizer Künstler Yves Metzler – in Hohenems Menschen nach Plätzen gefragt, die sie mit Europa verbinden. Ein Projekt in Kooperation mit dem Europe Direct Vorarlberg und der Stadt Hohenems.

Der “Un-Platz” in Hohenems. Ausgewählt vom Visionscafe.

Yves Mettler (*1976, Morges/CH) erforscht in seinem Langzeitprojekt Europaplätze innerhalb und außerhalb Europas. Plätze an denen Europa gebaut und neu erfunden wird, improvisiert und häufig genug vergessen.
Anknüpfend an unsere aktuelle Ausstellung Die Letzten Europäer im Jüdischen Museum Hohenems konfrontierte er zwölf Projektgruppen aus Hohenems mit der Frage nach möglichen Europaplätzen in der Stadt, vom Gesangsverein Nibelungenhort bis zum Sprachcafe für Flüchtlinge, von der Wirtschaftsgemeinschaft bis zu den Jugendlichen des Jugendzentrums, von den Lehrlingen und Mitarbeitern der Fa. Collini bis zum “Kulturkreis”, von den städtischen Angestellten bis zur Bürgerinitiative “Visionscafe”. Ihre jeweilige Platz-Wahl und ihre unterschiedlichsten Erzählungen darüber machten die Gruppen gemeinsam mit Yves Mettler am Samstag, den 12. Juni, durch die Aufstellung von zwölf umgestalteten Baustellenzeichen im Stadtraum sichtbar. In den Farben und Sprachen Europas markieren sie nun bis Oktober die temporären Europaplätze in Hohenems.

Zu den 12 Plätzen und Geschichten gehts hier lang:

Die Europaplätze in Hohenems

Vermischtes EU-Bashing

Rückblick, 12.6.2020: Österreichs Kanzler Kurz hat dem Kurier ein „großes Sonntagsinterview“ gegeben. Redakteur Richard Grasl ist der richtige Mann dafür. Er fragt auch dann nicht kritisch nach, wenn der Kanzler für jeden offensichtlich lügt. Thema ist der den beiden Plauderern vollkommen unverständliche Umstand, dass an der Politik des Kanzlers Kritik laut wird. Die kommt von Gastronomen und anderen Kleinbetrieben, bei denen die vollmundig angekündigte Unterstützung („Koste es was es wolle“) partout noch nicht ankommen will. Kanzler Kurz erklärt leutselig wer daran schuld ist. Nämlich die EU. Er scheint sich immer noch, oder schon wieder im Wahlkampfmodus zu befinden. Und buhlt nach wie vor um rechte bis rechtsradikale Wählerstimmen. Glaubt er seine Lügen selbst?
„Die Schweiz ist unter den Top-Staaten – auch weil sie nicht an EU-Regeln gebunden ist.“ Natürlich weiß, wie Stefan Brocza gestern im Standard süffisant anmerkt, auch ein Studienabbrecher der Rechtswissenschaften, erst recht aber ein ehemaliger Außen- und EU-Minister, dass die Schweiz durch zahllose Abkommen am EU-Binnenmarkt teilnimmt und ebenso viele Gesetze längst an EU-Recht angepasst und deren Regelwerk in großen Teilen übernommen hat. Dass Richard Grasl – 2018 von der ÖVP und René Benko als Mitglied der Kurier-Chefredaktion installiert, um das Blatt zusammen mit Martina Salomon auf türkise Linie zu bringen – bei solch munterem EU-Bashing kritisch nachfragen würde, wäre freilich zu viel verlangt. Der Mann trägt seit einer Verurteilung über die höflich geschwiegen wird eine elektronische Fußfessel, und die zwickt in solchen Fällen wohl schmerzhaft.

Die Europäische Union fordert die Stärkung biologischer Landwirtschaft und will mit ihrer Landwirtschafts- und Biodiversitätsstrategie den Wandel der europäischen Landwirtschaft vorantreiben. Österreichs Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger steht auf der Bremse und verlangt eine Studie, die die Folgen der Umstellung auf biologische Landwirtschaft untersuchen soll.
Biologische Landwirtschaft würde, so Köstinger, die Produktivität senken und damit Europa stärker von Landwirtschaftsimporten abhängig machen. Nehmen wir Frau Köstinger mal – absurderweise – einen Moment langdieses Argument ernst, dann will sie uns also sagen, dass die österreichische Landwirtschaft also Bio vor allem für die Tourismuswerbung und das „grüne Image“ produziert. Sonst aber weiter herkömmliche Massenproduktion betreiben soll. Soviel Ehrlichkeit sind wir gar nicht mehr gewohnt. Der EU-Rechnungshof warnt hingegen vor dem zunehmenden Rückgang von Bio-Diversität, durch die nach wie vor betriebene konventionelle Landwirtschaft und ihre Monokulturen.

Seit drei Tagen gilt für Menschen, die nach Großbritannien einreisen, eine 14tägige Quarantänepflicht. Wer sich nicht an die Selbstisolation hält, muss mit einem Bußgeld von 1000,- Britischem Pfund rechnen. Die neue Verordnung macht nur Ausnahmen für Reisende aus Irland, der Isle of Man und den Kanalinseln, sowie für Lastwagenfahrer im Fernverkehr und medizinisches Personal. Gesundheitsexperten rätseln öffentlich, warum Großbritannien diese Maßnahme erst jetzt einführt. Die zögerliche Einführung von Corona-Maßnahmen in Großbritannien hat dazu beigetragen, dass das Land die höchste Zahl von Toten aufweist, die an der Pandemie gestorben sind. Offiziell liegt die Zahl der Toten inzwischen bei 41.000. Man geht aber von einer extrem hohen Dunkelziffer aus. Dass nun vor allem der Schutz Großbritanniens vor infizierten Ausländern im Mittelpunkt der Politik steht, halten viele Kritiker für reine Propaganda. Schließlich sei das Risiko sich in Großbritannien anzustecken sehr viel höher, als in den meisten anderen Ländern Europas.

Von Ischgl bis Island

Rückblick, 7.6.2020: Tirols Landeshauptmann Günther Platter brüstet sich in der ORF-Pressestunde mit dem Umgang des Landes Tirol mit Corona. Er behauptet, in Ischgl hätte es erst am 7. März den ersten Corona-Fall gegeben. Island hat die Tiroler Behörden allerdings schon in der Nacht vom 4. auf den 5. März offiziell darüber informiert, dass 14 in Ischgl infizierte Urlauber am 29. Februar via München zurückgekehrt sind, das Virus also offenbar schon im Februar in Ischgl in fünf Hotels grassierte. Testungen wurden danach in den betroffenen Hotels nur spärlich durchgeführt. Selbst nach der behördlichen Schließung am 10. März hatten zahlreiche Aprés-Ski-Lokale in Ischgl weiter geöffnet, ohne dass die Polizei eingeschritten ist.
Landeshauptmann Platter schließt personelle Konsequenzen aus. Es sei, so sagt er, doch unbestritten, dass das Virus, das sich auf der ganzen Welt ausgebreitet hat, gar nicht in Tirol entstanden sei. Das freilich hat auch niemand behauptet.

Am Höhepunkt habe das Bundesland 3.500 Erkrankte gezählt, nun seien es zehn. „Da sieht man, wie hier gearbeitet wurde“, so Platter. „Das ist eine Erfolgsgeschichte, die ich mir nicht schlechtreden lasse“, sagt Platter.
Die Zahl der bestätigten Corona-Fälle pro Hunderttausend Einwohner hält in Tirol nun bei 467, im Vergleich dazu in den übrigen Bundesländern (Wien eingeschlossen) bei 163. Um nach dem Desaster in Ischgl noch größere Infektionsraten zu vermeiden, musste das ganze Land in Quarantäne geschickt werden. Nicht nur „Ausländer“ sondern auch Österreicher, die dort keinen Wohnsitz hatten, wurden gezwungen, das Land zu verlassen. Die Arbeitslosigkeit im Land hat sich verdreifacht (im übrigen Österreich verdoppelt). Im Bezirk Landeck liegt sie derzeit bei 24%. Eine Bereitschaft, diese „Erfolgsgeschichte“ kritisch aufzuarbeiten besteht scheinbar noch nicht.

In Israel ist die Gefahr einer Corona Infektion offenbar wieder größer geworden. Seit Ende Mai steigen die Zahlen der Corona-Fälle an und insbesondere Schulen gelten als Infektionsherde. 130 Schulen und Kindergärten mussten deshalb erneut geschlossen werden.
In Österreich ist die Maskenpflicht beim Betreten der Schule und in den Schulgebäuden außerhalb des Unterrichts von Bildungsminister Faßmann nach Pfingsten wieder aufgehoben worden. Lehrer berichten nun davon, dass damit auch die Bedeutung anderer Maßnahmen (Abstand, Händewaschen etc.) in Frage gestellt worden ist und deren Einhaltung deutlich zurückgeht.

In den letzten Tagen haben weltweit mehr als eine Million Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert, in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Australien und erneut in den USA, aber auch in Tunesien, Thailand, Japan oder Südkorea. Alleine in Wien sind am 4. Juni 50.000 Menschen, statt der erwarteten 3000, auf die Straße gegangen. Die meisten Demonstrationsteilnehmer trugen Masken. An eine Einhaltung des Sicherheitsabstandes war angesichts der Menschenmassen allerdings nicht zu denken. Die Wiener Polizei unternahm allerdings alles nötige, um dem rasch waschenden Demonstrationszug mehr Raum zu verschaffen und schritt ansonsten nicht ein. Einige Polizeifahrzeuge zeigten selbst den hashtag #blacklivesmatter als digitale Laufschrift. Die gesamte Demonstration verlief friedlich. Corona-Cluster sind nach dieser Demonstration nicht aufgetreten.

Leitkultur: Heuchelei!

Europäisches Tagebuch, 4.6.2021. In Europa wird gerne über sogenannte „Leitkulturen“ geredet. Da ist vom Recht auf Schweinshaxen die Rede (Bayern) und vom christlich-jüdischen Abendland (Österreich), da verteidigt Frankreich seinen angeblichen Laizismus, also seine Weltlichkeit, viele Polen glauben daran Jesus unter den Völkern zu sein und die ungarische Regierung macht aus ihre antisemitischen Verschwörungstheorien ein nationales Projekt. In Österreich regiert derzeit das „politische Christentum“ und droht Kirchenvertretern, die die Menschenrechte auch von Flüchtlingen politisch verteidigen wollen, mit dem Ende von Steuerbefreiungen. Man fragt sich was dieses Europa, das Europa der „Leitkulturen“, wirklich kulturell verbindet. Die Antwort darauf ist ernüchternd. Es ist die Fähigkeit zu schamloser Heuchelei.

Als es vor Jahren darum ging an französischen Schulen den Laizismus durchzusetzen, da wurden jüdische Kippot, muslimische Kopftücher (egal welche) und GROSSE Kreuze verboten. Es soll bis dahin selten vorgekommen sein, dass Schülerinnen oder Schüler mit einem großen Kreuz auf der Schulter im Klassenraum erschienen sind. Seitdem ist das Kopftuch zu einem Zeichen der Rebellion junger Frauen gegen die Gesellschaft geworden und die „Integration“ in Frankreich wurde zurückgeworfen, statt befördert.

Österreichische Politiker aus dem Lager des „politischen Christentums“ (also jene, die mit dem Schwingen von Kreuzen und der Teilnahme an Massengebeten charismatischer Prediger sich ihre eigene Macht sichern), sie sind ganz vorne dabei, wenn es darum geht, den sogenannten „politischen Islam“ zu bekämpfen. Und die vollkommen unschuldig dreinschauen, wenn der „ungeheuerliche“ Verdacht auftaucht, damit könnte etwa ein Pauschalverdacht gegenüber allen Muslimen gemeint sein. Es weiß ja jeder ohnehin, wie es gemeint ist.
So war es auch, als die Vorarlberger Landesregierung Minarette verbieten wollte, und stattdessen für „Kultusbauten“ ein besonderes Genehmigungsverfahren schuf. Auch die neugegründete „Dokumentationsstelle politischer Islam“ darf natürlich offiziell nicht so heißen, das wäre ja verfassungswidrig. Also nennt man sie „Österreichischer Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischem Extremismus“. Der nun als erstes eine „Islamlandkarte“ publiziert, die jedem potentiellen islamfeindlichen Gewalttäter endlich ein praktisches Adressenverzeichnis aller (!) auch noch so harmlosen Moscheenvereine und ihrer Repräsentanten bietet.

Letztes Jahr gab es nicht nur 500 registrierte antisemitische Zwischenfälle in Österreich (die weitaus meisten davon übrigens mit rechtsextremem Hintergrund) sondern auch dreimal so viele islamfeindliche Aktionen in Österreich.
Die „Islamlandkarte“ hat in den wenigen Tagen, in denen sie am Netz war, schon den gewaltbereiten „Identitären“ gute Dienste geleistet. Vor vielen Moscheenvereinen haben islamfeindliche Aktivisten „Warnschilder“ aufgehängt, die sich nur als unverhohlene Drohungen lesen lassen.  Inzwischen ist die „Islamlandkarte“ vorläufig vom Netz genommen worden, angeblich wegen technischer Probleme. Die Universität Wien hat sich von dem Projekt, an dem ein Professor beteiligt war, öffentlich distanziert. Aber Österreichs „Integrationsministerin“ tut noch immer so, als sei alles „gut“ gemeint.

Doch in diesem Fall ist das Gegenteil von gut keineswegs „gut gemeint“. Hier ist alles so abgrundtief schlecht gemeint, wie es dann auch wirkt.

 Rückblick, 4.6.2020: Österreich öffnet seine Grenzen zu den Nachbarstaaten wieder. Ausgenommen bleibt Italien, auch wenn dort die Infektionszahlen ebenfalls stark gesunken sind. Italien hat seinerseits die Grenze geöffnet und hofft auf österreichische und vor allem auf deutsche Urlauber. Dabei geht es für eine der wichtigsten italienischen Branchen um die Existenz. Die Österreichische Blockade sorgt in Italien zunehmend für Proteste, nachdem auch die österreichische Position gegenüber Wiederaufbauhilfen der EU für Irritation gesorgt hat. Die Vermutung steht im Raum, dass Österreichs Politik nicht nur von Besorgnis gegenüber Infektionsrisiken geprägt ist, sondern auch den Versuch darstellt seine eigenen, schwer gebeutelten Touristikdestinationen im Corona-Sommer auf Kosten Italiens zu begünstigen.

 

Corona-Verschwörungstheorien

Rückblick, 30.5.2020: 20% der Briten glauben, die Juden haben Corona erschaffen, um der britischen Wirtschaft zu schaden und daraus finanzielle Vorteile zu ziehen. Genauer: „Demnach stimmten 5,3 Prozent der Befragten «ein wenig» überein, 6,8 Prozent sagten, sie würden «moderat übereinstimmen», 4,6 Prozent waren weitgehend einverstanden und 2,4 Prozent waren «vollkommen einverstanden» mir der Behauptung, Juden hätten den Virus geschaffen, um die Wirtschaft aus Gründen des finanziellen Profits zum Zusammenbruch zu führen. Rund 80,8 Prozent stimmten überhaupt nicht überein mit dieser Aussage. 40 Prozent glauben, dass der Virus von mächtigen Kreisen vorsätzlich in Umlauf gebracht worden sei, um die Kontrolle auszuüben. 20 Prozent sind zumindest irgendwie der Ansicht, der ganze Virus sei ein schlechter Witz.“ (Quelle: tachles)

Vor drei Tagen hat EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen einen Plan für Europäische Wiederaufbauhilfen vorgelegt, der insgesamt 750 Milliarden umfassen soll. Der größere Teil davon soll als Zuschüsse fließen, ein Teil aber auch als langfristige Kredite. Dafür sollen die EU-Mitglieder endlich stärker für diese Gemeinschaftsausgaben in die Pflicht genommen werden. Vor allem soll die EU auch über eigene Einnahmen verfügen, zum Beispiel durch eine Steuer für die international operierenden Digitalkonzerne, deren Gewinne bislang in Europa nur marginal besteuert werden. Ob dieser Versuch, Europa in der Krise zu stärken, Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Der Widerstand – nicht zuletzt von Seiten der sich als „sparsame vier“ definierenden Staaten, nämlich Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark – ist keineswegs überwunden.

Louise Weiss: Die Alterspräsidentin

Europäisches Tagebuch, 26.5.2021: Nach ihr ist heute das Hauptgebäude des europäischen Parlamentes in Straßburg benannt. Heute vor 38 Jahren starb Louise Weiss in Paris.
Geboren wurde sie 1893 in Arras, ihre Eltern – die Mutter jüdisch, der Vater protestantisch – stammten aus dem Elsass. Schon während des ersten Weltkriegs, der zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich nicht zuletzt symbolisch um Elsass-Lothringen gefochten wurde, begann Louise Weiss – als Kriegskrankenschwester arbeitend – unter Pseudonym zu schreiben. Es sollten noch viele Romane, Theaterstücke und politische Schriften folgen, zum Beispiel über die neugegründete Tschechoslowakei, der Weiss auch in privaten Beziehungen besonders zugetan war. Bekannt wurde sie aber auch durch Dokumentarfilme und literarische Berichte von ihren Reisen, die sie nach Japan, China, Indien und Vietnam, nach Kenia und Madagaskar, Alaska und in den Nahen Osten unternahm. Ihre Kunst- und ethnografische Sammlung befindet sich heute im Chateau de Rohan im elsässischen Saverne.
1918 schon gründete sie, gerade einmal 25jährig, die Zeitschrift L’Europe Nouvelle, in der sie für französisch-deutsche Verständigung und die Vereinigung Europas warb. Zu den Autoren gehörten Thomas Mann, Aristide Briand, Gustav Stresemann oder Rudolf Breitscheid. 1930 gründete sie die École de la Paix, ein privates Institut für internationale Beziehungen – dessen Träume 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland vorerst ausgeträumt waren. 1934 konzentrierte sich Louise Weiss deshalb auf eine andere gesellschaftliche Auseinandersetzung, den Kampf um das Frauenwahlrecht. Gemeinsam mit Cécile Brunsvig gründete sie die Vereinigung La femme nouvelle, ihre Kampagnen sorgten für öffentliches Aufsehen, nicht nur, als sie sich mit anderen Sufragetten in Paris an eine Laterne anketteten. Ihre Klage vor dem französischen Staatsrat, dem Conseil d’Etat blieb erfolglos. Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis in Frankreich das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Zu dieser Zeit war Louise Weiss in der Resistance gegen die nationalsozialistischen Besatzer und das französische Vichy Regime aktiv. 1945 begründete sie mit Gaston Bouthoul ein Institut für Kriegs- und Konfliktforschung in London. Eine Aufnahme in die Académie Francaise wurde ihr noch 1975 verweigert. Erst 1980 wurde mit Marguerite Yourcenar die erste Frau in diesen bislang Männern vorbehaltenen elitären Zirkel zugelassen.

1979 wurde Louise Weiss bei der ersten Direktwahl des Europaparlaments für die Gaullisten zur französischen Abgeordneten gewählt. Und sie war bis zu ihrem Tod 1983 dessen erste Alterspräsidentin. In den vielen Erinnerungen an die „Gründerväter“ Europas kommt sie seltsamer Weise nicht vor. Aber sie war ja auch kein „Vater“.

Rückblick, 26.5.2020: 20% der Briten glauben, die Juden haben Corona erschaffen, um der britischen Wirtschaft zu schaden und daraus finanzielle Vorteile zu ziehen. Genauer: „Demnach stimmten 5,3 Prozent der Befragten «ein wenig» überein, 6,8 Prozent sagten, sie würden «moderat übereinstimmen», 4,6 Prozent waren weitgehend einverstanden und 2,4 Prozent waren «vollkommen einverstanden» mir der Behauptung, Juden hätten den Virus geschaffen, um die Wirtschaft aus Gründen des finanziellen Profits zum Zusammenbruch zu führen. Rund 80,8 Prozent stimmten überhaupt nicht überein mit dieser Aussage. 40 Prozent glauben, dass der Virus von mächtigen Kreisen vorsätzlich in Umlauf gebracht worden sei, um die Kontrolle auszuüben. 20 Prozent sind zumindest irgendwie der Ansicht, der ganze Virus sei ein schlechter Witz.“ (Quelle: tachles)

 

Unsere Europakarte – neue Kommentare unserer Besucher:innen

Europäisches Tagebuch, 20.5.2021: Unsere Europakarte ist inzwischen voller kontroverser Besucherkommentare zur Zukunft Europas: Bald werden wir Platz machen müssen für neue.

Rückblick, 20.5.2020: Deutschland und Frankreich trauen sich, den europäisch-gordischen Knoten zu durchschlagen und endlich über konkrete, gemeinsame europäische Wiederaufbauhilfe zu sprechen. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz will gemeinsam mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark einen „alternativen Plan“ vorlegen.

Die von der österreichischen Regierung versprochenen Hilfen für die Wirtschaft dauern zu lange? Was fällt der Wirtschaftsministerin dazu ein? Natürlich, die EU ist schuld, ihre vielen Vorschriften. In Wirklichkeit sind die Ministerien und die Wirtschaftskammer angesichts der schieren Zahl von Anträgen und den eigenen, teils widersprüchlichen neuen Vorschriften und Erlassen heillos überfordert.

Innenminister Nehammer bietet „Wien Hilfe an“. Die Polizei solle das Contact-Tracing in Wien und die Kontrolle von Quarantänemaßnahmen „unterstützen“. Aus dem Gesundheitsministerium wird zur gleichen Zeit abgewunken. Die Kooperation mit der Bundeshauptstadt funktioniere hervorragend. Man werde ständig hervorragend informiert. Die neu aufgetretenen Coronainfektionen in Postverteilzentren in Wien und Niederösterreich, sowie in einer Asylunterkunft in Wien nutzt die ÖVP hingegen zum Wahlkampfauftakt. Dabei sind die Zahlen in Wien im Vergleich zu manchen anderen österreichischen Bundesländern, erst recht aber zu anderen europäischen Metropolen nach wie vor eher niedrig. Die neuen Fallzahlen beruhen hingegen auf langsam besser funktionierendem Contact-Tracing und entsprechenden Testungen.