Krieg ohne Ziel

Europäisches Tagebuch, 18.5.2021: Der Österreichische Kanzler hat die Fahne wieder eingepackt. Tagelang hing über dem Kanzleramt am Ballhausplatz eine israelische Fahne. Wie es hieß aus “Solidarität mit Israel”, das unter den Terrorangriffen der Hamas leide. Der Kanzler hat dieses Zeichen gegen Bedenken in den eigenen Reihen durchgesetzt. Tatsächlich ging es wohl vor allem um politisches Kleingeld. Auf Kosten der Menschen in Israel und Palästina. Denn wenn es um Solidarität zwischen Sebastian Kurz und Benjamin Netanyahu geht, dann ist von österreichischer Neutralität keine Rede mehr. Auch nicht angesichts eines Bürgerkriegs, in dem beide Seiten tun was sie können, um den Konflikt anzuheizen. Aber eine Seite hat dazu die effizienteren Mittel. Das sollte man dabei nicht ganz vergessen.

Wer sich über die Hintergründe der gegenwärtigen Raketenattacken der Hamas und der Luftangriffe auf den Gaza-Streifen informieren will, wird dabei in europäischen Zeitungen nur sporadisch fündig, und wer es genauer wissen will, muss in die New York Times oder in israelische Zeitungen wie Haaretz schauen. Das ganze Desaster begann sich schon im April abzuzeichnen. So fallen in diesem Jahr gleich mehrere Anlässe für allfällige Provokationen zeitlich zusammen. Die israelischen “Nationalfeiertage”, nicht zuletzt das Heldengedenken am sogenannten Jom Hazikaron, dem Tag der Erinnerung an die gefallenen Soldaten, gingen Hand in Hand mit dem Beginn des Fastenmonats Ramadan.
In den besetzten Palästinensergebieten waren wieder einmal Wahlen angesetzt. Die letzten fanden vor 15 Jahren statt – und auch diesmal wurden sie wieder abgesetzt. Wieder einmal sollten die Palästinenser in Ostjerusalem an den Wahlen nicht teilnehmen dürfen. Und die Fatah fürchtete einen Wahlsieg der Hamas.
Auf der anderen Seite musste Benjamin Netanyahu fürchten, dass sich tatsächlich eine Koalition gegen ihn formieren könnte. Allein das reichte schon, um mit Dynamit zu spielen. Und das war im April reichlich vorhanden. Von der Weltöffentlichkeit unbemerkt hatte dieses neue Drama, wenn man nach einem symbolischen Turning Point sucht, wohl am Abend des 13. April begonnen. Die Gedenkfeier zum Jom Hazikaron soll wieder einmal an der Klagemauer stattfinden. Doch es ist auch der erste Tag von Ramadan, der höchste muslimische Feiertag. Und israelische Soldaten stürmen die Al Aqsa Moschee, um dem Vorbeter und seinem Mikrophon den Saft abzudrehen. Es gibt Prioritäten.
Zur gleichen Zeit kämpfen sechs arabische Familien in Ost-Jersualem gegen ihre Ausweisung aus ihren Wohnungen in Sheikh Jarrah. Die Häuser in denen sie leben, sind juristisch umstritten, seit dem es jüdischen Jerusalemern nach 1967 möglich ist, ihren 1948 durch die Vertreibung aus Ost-Jerusalem verlorenen Immobilienbesitz wieder zu reklamieren, während es umgekehrt für arabische Vertriebene aus dem Westen der Stadt bis heute keine Chance für eine Rückgabe ihres verlorenen Besitzes gibt. Noch steht die Entscheidung des Höchstgerichts über den akuten Fall aus.
Die Proteste gegen die Ausweisung begannen im April Fahrt aufzunehmen. Und wenige Tage nach dem ersten Zwischenfall auf dem Tempelberg, für die Araber der Haram al-Sharif, lässt die israelische Regierung den Platz am Damaskustor sperren, dem wichtigsten Zugang für die Muslime der Stadt zur Altstadt und ihren wichtigsten Moscheen, all dies während des Ramadan. Und es kommt zu immer brutaleren Polizeieinsätzen gegen die Proteste. In Sheikh Jarrah genauso wie auf dem Tempelberg. Blendgranaten werden eingesetzt,  auch auf dem Gelände der Al Aqsa Moschee, und dementsprechend kommt es zu Schwerverletzten. Angriffe von Arabern auf Juden heizen die Stimmung weiter auf, und schon am 21. April ziehen hunderte von israelischen Rechtsextremen der Gruppe “Lehava” durch die Altstadt, skandieren “Tod den Arabern” und greifen wahllos arabische Passanten an.

Die Hamas lässt nicht lange darauf warten,  diese Eskalation zu nutzen, um sich als die wahren Verteidiger palästinensischer Interessen in den Vordergrund zu spielen. Während die Behörde des Haram al-Sharif und die Palästinenserregierung von Abbas als ohnmächtige Pappkameraden dastehen, lassen die Hamas ihre Raketenarsenale los. Siebenundzwanzig Tage nach der Provokation vom 13. April.
Inzwischen ist freilich noch etwas anderes geschehen. Aus dem Zusammenleben von jüdischen und arabischen Israelis in den gemischten Städten Haifa und Akko, Jaffa und Lydda sind bürgerkriegsähnliche Verhältnisse geworden. Lange Zeit hat man der Weltöffentlichkeit vorgespielt, dass dort ein harmonisches Zusammenleben des “jüdischen Staates und seiner Minderheiten” möglich sei. Und wer guten Willens war, auf beiden Seiten, hat alles dafür getan, dass diese Möglichkeit so gut es ging, auch gelebt wurde, allen Widerständen und Diskriminierungen, Unkenrufen und Warnsignalen zum Trotz. Nun brennen Moscheen und  Synagogen, arabische und jüdische Häuser. Bewaffnete Gangs ziehen durch die Straßen und verbreiten Pogromstimmung. Aber auch in diesem Konflikt macht die Regierung deutlich, wer der Stärkere ist, und wer den Schutz der Staatsmacht tatsächlich in aller Konsequenz genießt. Auch, wenn viele Polizisten tatsächlich versuchen, die Gewalt rechtsradikaler jüdischer Mobs ebenso einzudämmen und nicht nur gegen Araber vorzugehen. Die offizielle Rhetorik hingegen weiß genau, wer und was gemeint ist, wenn von “Pogromen” die Rede ist. Nur die eine Seite. Und die israelische Regierung und ihre Freunde, in Europa und den USA, sie schütten damit fortwährend Öl ins Feuer.

Während am Wiener Kanzleramt, genauso wie an manchen deutschen Rathäusern und Regierungsgebäuden die israelische Fahne weht, versucht internationale Diplomatie beide Seiten zur Beendigung der Gewalt zu bewegen. Aber die israelische Regierung hat keinen Plan, außer den, an der Macht zu bleiben, und einen “Sturz” von Netanyahu zu verhindern. Und solange geht das Bombardement gegen den Gaza-Streifen ungehemmt und ziellos weiter. Während die Hamas “ihr” Kriegsziel längst erreicht hat. Sie haben symbolisch schon gesiegt, egal, wieviele Häuser in Gaza Netanyahu noch in Schutt und Asche legen lässt, egal, wie viele Zivilisten auf beiden Seiten daran glauben müssen. Es werden auf palästinensischer Seite in jedem Fall sehr viel mehr sein als auf israelischer und auch damit können die Scharfmacher auf beiden Seiten gut leben.

Und noch etwas bleibt inmitten dieser absurden und zugleich absolut erwartbaren Gewaltspirale sichtbar. Zum ersten Mal haben tatsächlich sowohl Netanyahu als auch seine Gegner etwas bislang vollkommen unmögliches in ihre Kalkulation aufgenommen, eine neue Hypothese: Keiner der beiden Lager, kann mehr ohne einen Partner aus dem Kreis der arabischen Parteien regieren. Und keiner hat diese Möglichkeit mehr ausgeschlossen. Inmitten des Wahnsinns eine vollkommen paradoxe, winzige Option auf Normalität, eines Staates, der entweder irgendwann einmal ein gemeinsamer Staat seiner jüdischen und nicht-jüdischen Bürgerinnen und Bürger sein wird. Oder am Ende gar kein Staat mehr sein wird.

Rückblick, 18.5.2020: EU-Außenbeauftragter Josep Borrell gratuliert der neuen israelischen Regierung und warnt sie zugleich im Namen der Europäischen Union davor, Teile des besetzten Westjordanlandes zu annektieren. Die Koalitionsvereinbarung der neuen israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu und seinem Rivalen Benny Gantz sieht vor, „die Souveränität Israels“ auf Teile des Westjordanlandes „auszudehnen“. Die EU halte daran fest, dass die EU keine Änderung der Grenzen vor 1967 ohne beiderseitige Zustimmung von Israelis und Palästinenser anerkennen würde, und eine einseitige Annexion internationales Recht verletzen würde.

Zwei der 27 EU-Staaten ihre Zustimmung zur Erklärung des EU-Außenbeauftragten verweigert haben. Die antisemitische Regierung Orban in Budapest und die österreichische Bundesregierung. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bedauert das Ausscheren der beiden Staaten. Das österreichische Außenministerium verweist auf eine Erklärung von Außenminister Schallenberg, dass Österreich eine „Vorverurteilung“ Israels ablehne. Man werde die israelische Regierung „an ihren Taten messen“.

Die Unsichtbaren

Rückblick, 16.5.2020: In Italien droht die Ernte zu verfaulen. Im Zeichen von Corona merkt man plötzlich, dass die „illegalen“ schwarzen Migranten in Wirklichkeit das Land ernähren. Ca. 670.000 Einwanderer ohne gültige Papiere leben schätzungsweise in Italien. Von etwa 200.000 Ausländern, die in der Altenpflege, oder als Kinder- und Dienstmädchen in privaten Haushalten arbeiten, sind 70% nicht legal beschäftigt. Neben hunderttausenden von Saisonarbeitern, die aus Nordafrika oder Rumänien eingeflogen werden, arbeiten auch mindestens 130.000 „Unsichtbare“ in der Landwirtschaft. Migranten, die ohne jeden Status untergetaucht sind und in rechtswidrigen und menschenverachtenden Lebens- und Beschäftigungsverhältnissen vegetieren. Die Bauern sparen sich die Versicherung und zahlen 20 bis maximal 30 € Lohn – am Tag. Mafiose Vermittler kassieren für den Transport zur Arbeit und für unwürdige Massenquartiere. Wer dort an Corona bekommt hat Pech gehabt. Die Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova weiß, wovon die Rede ist. Sie war selbst einmal Landarbeiterin. „Ich habe auf den Feldern viele Freundinnen verloren, die auf dem Arbeitsweg oder an Überarbeitung gestorben sind. Sie hatten nicht so viel Glück wie ich“, sagte Bellanova bei ihrer Vereidigung zur Landwirtschaftsministerin im vergangenen September. Nun will sie gegen die Sklavenarbeit auf den Feldern und in den Ställen vorgehen.

Doch dazu muss den „Illegalen“ zunächst ein legaler Weg aus der Unsichtbarkeit ermöglicht werden. Dagegen laufen die Populisten natürlich Sturm. Aber jetzt hat Bellanova – im Zeichen von Corona – neue Argumente. Kann sich das Land in Zeiten der Pandemie tatsächlich leisten, hunderttausende von Menschen in „systemrelevanten“ Bereichen illegal zu beschäftigen, ohne dass diese Menschen eine Chance auf ärztliche Behandlung haben? Ob das gegen die Blockade von rechts helfen wird ist freilich nicht ausgemacht.

Rückblick 15.5.2020: Der ORF berichtet über die Bedrohung der Demokratie in Ungarn. Dort werden die ersten Menschen verhaftet, weil sie sich im Internet kritisch über Orban und seine Regierung äußern. Das Ermächtigungsgesetz im Zeichen von Corona zeigt Wirkung. Das Parlament ist auf unbegrenzte Zeit in Ferien. Und das, was Orban als „Fake News“ definiert hat, also Kritik an seiner Person, kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Das trifft in Orbans „illiberaler Demokratie“ jetzt vor allem einzelne Menschen, denn die Medien sind in Ungarn ohnehin fast vollständig unter seiner Kontrolle. Eine Verordnung der Regierung hat schon vor einiger Zeit festgelegt, dass Medien bei bestimmten Themen vorher bei der Regierung nachfragen müssen, ob eine Berichterstattung darüber erlaubt ist…

Der ORF aber spielt Rätselraten und liest im Kaffeesatz. Tarek Leitner fragt: „Warum tut Orban das bloß?“ Es gäbe tatsächlich Leute, die glauben würden, Orban wolle eine Diktatur errichten. Kann das sein? Ernst Gelegs in Budapest wird um seine Einschätzung gebeten. Auch er sinniert, als würde er schon um seine Akkreditierung fürchten, und in seinem Vorzimmer säße die Geheimpolizei. Immerhin würde ja die Staatsanwaltschaft gar keine Anklage gegen die gerade Verhafteten erheben. Warum also macht Orban das dann bloß? Könnte es wirklich sein, dass er mit seinen Maßnahmen einfach die Leute einschüchtern wolle? Wann wird er den Ausnahmezustand wohl wieder aufheben? Praktisch gelte der ja unbegrenzt. Aber vielleicht, so Gelegs, ja frühestens Ende Juni. Ja Ende Juni, so versucht es Ernst Gelegs es mit paradoxer Pädagogik, würde Urban das wohl tun. Denn schließlich wolle Orban ja seine Kritiker Lügen strafen. Wenn er sie nicht einfach irgendwann alle verhaften lässt, wenn noch welche übrig bleiben. Und der ORF sich weiter fragen, was Orban denn damit dann bloß meinen könnte.

Stolz

Rückblick, 13.5.2020: Alles redet von Grenzöffnungen. Nur nicht für Asylwerber. Die Pläne einer Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln durch eine „Koalition der Willigen“ tröpfelt so dahin. Luxemburg und Deutschland haben ein paar Kinder aufgenommen, Großbritannien (!) und die Schweiz (!) sollen folgen, auch Belgien und ein paar andere Länder wollen mittun. Bald will man stolz die ersten 100 Kinder vorweisen, die man gnädigerweise aus der Hölle der überfüllten Lager geholt hat. Von 1600, von denen noch im März großartig die Rede war. Österreich ist natürlich eh nicht dabei. Darauf sind wahrscheinlich auch noch manche Leute stolz.

In den USA gibt es inzwischen nach Schätzungen über 80.000 Coronatote. In Großbritannien über 40.000.

Die Philippinen statt Rumänien?

Europäisches Tagebuch, 11.5.2021: In Österreich fehlen bis 2030 schätzungsweise 75000 Pflegekräfte. Die Wirtschaftskammer will offenbar ein Programm starten, das dem Mangel an Pflegekräften mit dem Import von Pfleger:innen von den Philippinen abhelfen soll.
Schon vor einem Jahr hat die türkisblaue Landesregierung Oberösterreichs eine Agentur beauftragt, Arbeitskräfte auf den Philippinen anzuwerben. Dabei wurde auf die sonst so oft gehörten markigen Sprüche wie „Deutsch ist Pflicht“ verzichtet. Deutschkenntnisse sind auch nach den neuen Plänen der Wirtschaftskammer verzichtbar. Der Spracherwerb soll „in der Praxis“ erfolgen. Die Rede ist von diplomierten Pflegern und Pflegerinnen, die nach zwei Jahren Arbeit unter fachlicher Aufsicht als Krankenpfleger:innen arbeiten sollen. Dabei wird mit Rekrutierungskosten von 8000-12000 Euro gerechnet. Die Gewerkschaften und die SPÖ mahnen stattdessen schon länger bessere Arbeitsbedingungen und Entlohnung, und die Einführung einer 35 Stunden Woche für die Pflegeberufe ein. Auch die Umschulung von Arbeitslosen für die Pflege soll attraktiver gestaltet werden. Ob das freilich reichen wird, Menschen hier im Land für einen Beruf zu erwärmen, der in unserer Gesellschaft allgemein noch nicht wirklich ernst genommen wird? Das scheint noch ein langer Weg zu sein.
Der Ausbruch der Covid-19 Pandemie im letzten Frühjahr hat immerhin schlagartig die Aufmerksamkeit für die Misere im Pflegebereich erhöht. Und dies sowohl in den Krankenhäusern, deren Personal seit dem letzten Frühjahr vor allem mit öffentlichen Streicheleinheiten bedacht, aber nach wie vor schlecht bezahlt wird. Wie erst recht in der Heimpflege, die im April 2020 zusammenzubrechen drohte, weil die Anreise von Heimpflegerinnen aus Osteuropa blockiert war. Ob die Anwerbung auf den Philippinen diese Probleme lösen kann? Aber den Pflegeberuf wirklich attraktiver zu machen, wird viel Geld kosten.
Am wachsenden Bedarf nach Heimpflege hingegen, wird nur dann etwas zu ändern sein, wenn grundsätzlich über Alternativen nachgedacht würde, zum Beispiel über die Förderung des Zusammenlebens und Wohnen mehrerer Generationen, oder mehr gemeinschaftliche Wohnformen für ältere Menschen. Mehrgenerationenprojekte: Das freilich würde einem anderen Prestigeprojekt der Wirtschaftskammer und des Wirtschaftsbundes widersprechen. Nämlich der Erhöhung der Mobilität, und wenn es sein muss auch zwangsweise, durch die Drohung mit der Kürzung des Arbeitslosengeldes, die derzeit in der österreichischen Regierung für Spannungen sorgt.

Rückblick, 11.5.2020: Der erste Transitzug mit Pflegerinnen aus Rumänien ist in Österreich angekommen, nachdem wochenlang mit der ungarischen Regierung über ein Durchfahrtsrecht verhandelt worden ist. 33.000 Familien in Österreich sind auf 24-Stunden-Betreuung durch Pflegekräfte angewiesen, die im Monat weniger als 1000,- € für 14 Tage 24-Stunden-Dienst bekommen, „natürlich“ ohne 13 oder 14 Monatsgehalt, und davon noch die Fahrtkosten zwischen ihren Heimatorten und Österreich bezahlen müssen – wenn die Familien, in denen sie arbeiten, nicht „nebenher“ die Pflegerinnen dabei unterstützen.
Viele der Frauen waren deshalb auf eben jene Sozialleistungen angewiesen, die die türkisblaue Bundesregierung 2019 gekürzt hat. Die sogenannte „Indexierung“ der Familienbeihilfe war eines der populistischen Prestigeprojekte von Sebastian Kurz.

Im Klartext bedeutete das für die zumeist aus Rumänien stammenden Pflegerinnen eine Halbierung der Unterstützung für jedes Kind – d ren Betreuung häufig wiederum Geld kostet, da die Mütter 1000 Kilometer entfernt von zu Hause arbeiten müssen. Trotzdem ist die Pflegearbeit für Frauen aus Osteuropa angesichts der Lohnunterschiede und der sozialen Situation in ihren Heimatländern nach wie vor finanziell attraktiv. Viele Familien dort sind auf diese Verdienste im Ausland existentiell angewiesen. Ob das auf Dauer so bleiben wird, ist allerdings kaum abzusehen.

Hersch Lauterpacht und die Menschenrechtskonvention

von Felicitas Heimann-Jelinek

Bereits der griechische Stoiker Zenon (336-270 v.u.Z.) postulierte, dass alle Menschen allein durch ihr Menschsein gleich seien. In der Praxis spielte diese theoretische Erkenntnis allerdings keine Rolle. Ihre Reflexion blieb die längste Zeit den Philosophen überlassen. Erst mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung fanden die Menschenrechte Eingang in ein politisches Format. Diese Rechte machten allerdings vor der indigenen Bevölkerung und vor den Versklavten halt. Auf dem europäischen Kontinent machte die Französische Revolution die Menschenrechte zum politischen Konzept. Und die französische Verfassung von 1791 schloss sogar Juden ein – allerdings noch lange keine Frauen. Für Menschen außerhalb des europäischen Kontinents galten diese Rechte selbstredend nicht.

Es sollte bis zum 10. Dezember 1948 dauern, bis die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Und erst am 3. September 1953 wurde die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert.

Nicht alle Zuständigen sahen die Notwendigkeit einer juristischen Befassung mit Völkerrecht, Menschenrecht, Schuld und Verantwortung 1945 ein. Fritz Bauers in eben jenem Jahr erschienene Arbeit „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“, in der er „eine Lektion im geltenden Völkerrecht“ für die Deutschen forderte, stieß zumindest in den Tätergesellschaften auf taube Ohren. Und doch entsprangen Ausarbeitung und Beschlussfassung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der direkten Reaktion auf die Gräuel, die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg insbesondere an Zivilisten und insbesondere an den europäischen Juden und anderen Minderheiten begangen worden waren. Eine nicht unbedeutende Rolle bei der Entwicklung eines universalen Menschenrechtscodes spielte Hersch Lauterpacht.

Lauterpacht, 1897 im heute ukrainischen Schowkwa gebürtig, studierte bei dem Staatsrechtler und Rechtsphilosophen Hans Kelsen in Wien, danach an der renommierten London School of Economics. Von 1938 bis 1955 hatte er den Lehrstuhl für Internationales Recht in Cambridge inne, 1951 bis 1954 war er Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, und 1955 bis zu seinem Tod 1960 war er Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Als junger Mensch hatte Hersch Lauterpacht die Katastrophen des Ersten Weltkriegs erfahren. Sie waren Auslöser für seine lebenslange Beschäftigung mit dem Völkerrecht sowie mit den Menschenrechten. Die elterliche Familie des Ehemanns und Vaters Hersch Lauterpacht war im altösterreichischen Lemberg ermordet worden. Dies mag seinen Fokus auf den Status des Individuums im Völkerrecht und auf die Frage nach der Verhältnismäßigkeit nationalstaatlicher Oberhoheit begründet haben. In diesem Kontext entwickelte Lauterpacht die Terminologie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zur Fassung der ungeheuren Gräuel an Zivilpersonen, eine Formulierung, mit der das Völkerrecht eine entscheidende Erweiterung erfuhr. In den Nürnberger Prozessen legitimierte sie die strafrechtliche Anklage und Verurteilung der Aktionen der Nazis gegen Millionen ziviler Bürger*innen. Die Definition lautete: „Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an jedweder Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges; Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht.“ Der Schutz des Einzelnen vor dem Staat kann seitdem auch in der EU eingefordert werden. Juristisch dafür zuständig ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Auf übereuropäischer Ebene ist der Internationale Gerichtshof in Den Haag für völkerrechtliche Fragen und Verfahren zuständig. Als der maßgeblich an der Erarbeitung der europäischen wie der internationalen Menschenrechtskonvention Beteiligte Hersch Lauterpacht 1954 von britischer Seite als Richter an diesen entsendet werden sollte, wurden Stimmen laut, die diese Entscheidung mit dem Argument kritisierten, der renommierte Völkerrechtler sei für dieses Amt nicht „britisch“ genug, worüber sowohl seine Herkunft als auch sein Name ja eindeutig Auskunft gebe.

Am 8. Mai 1960, fünfzehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, starb Hersch Lauterpacht in London.

Netanjahu, die AfD und das “christliche Europa”

Rückblick, 6.5.2020: Die rechtsextreme AfD in Deutschland wirbt jetzt mit dem Konterfei von Yair Netanjahu, dem Sohn des Israelischen Ministerpräsidenten, der immer wieder für seinen Vater in die Bresche springt.
Yair Netanjahu hatte am 28. April getwittert: „Schengen zone is dead and soon your evil globalist organization will be too, and Europe will return to be free, democratic and Christian!“ Und weiter: “Die EU sei der Feind Israels und aller christlichen Länder Europas.” Gemeint war die Unterstützung der EU-Vertretung für die große jährliche Friedensveranstaltung der Combattants for Peace die am Vorabend des israelischen Heldengedenktages der Opfer auf beiden Seiten gedenken.

Der Posterboy der AfD: Yair Netanjahu

Netanjahu bekam prompt Beifall vom AfD-EU-Abgeordneten Joachim Kuhs auf dessen Facebook Seite. Was Yair Netanjahu mit einem begeisterten Aufruf an Kuhs und die AfD beantwortete, endlich mit seinen “Kollegen” diesen “Wahnsinn” zu beenden. Gemeint war die Unterstützung der EU für NGOs in Israel und Palästina.
Kuhs, Vorsitzender der “Christen in der AfD” und Mitglied im AfD-Bundesvorstand, hat erst unlängst gemeinsam mit Vertretern der “Juden in der AfD” Israel besucht um Vertreter des Likud zu treffen – und schreibt immer wieder in rechten und rechtsradikalen deutschen wie israelischen Medien über die “Israelfeindlichkeit der EU”, offenbar eines seiner Lieblingsthemen.
Die AfD, deren Mitglieder immer wieder mit israelischen Fahnen auf rechten Demos gesichtet werden, machen auch sonst keinen Hehl daraus, welches Israel sie lieben: nämlich jenes, dass endlich dafür sorgt, dass die Juden kein Teil von Europa mehr sein wollen – und man sie auf diese Weise endlich doch noch los wird.

 

Corona und Colani – und natürlich die Adler

Europäisches Tagebuch, 5.5.2021: Rücktritte in Tirol? Damit hat man gar nicht mehr gerechnet. Gesundheitslandesrat Tilg – „Die Behörden haben alles richtig gemacht“ – hat das Handtuch geworfen. Und die Wirtschaftslandesrätin gleich mit. Von Tilg stammte auch im März vorigen Jahres die überraschende Erkenntnis, „dass das Corona-Virus nicht in Ischgl entstanden sei“, womit er einen tiefen Einblick in sein Verständnis von Pandemien gab. Und das folgenreichste Corona-Cluster nördlich des Alpenhauptkamms verschlief. Seitdem wartet ganz Europa auf irgendetwas, was wie eine demütige Entschuldigung für die Versäumnisse verstanden werden könnte. Aber die gab es auch im Zuge der Rücktritte von gestern nicht. Man habe die „Umbesetzung“ ja eh geplant.

Stattdessen war gestern heraus gekommen, dass die Firma HG Labtruck eines Wiener Urologen (kein Tippfehler !), die in Tirol mit einer mobilen Teststation hunderttausende von Tests durchgeführt hat (Auftragsvolumen 8.000.000,-, ohne Ausschreibung), offenbar unzählige falsche Testergebnisse geliefert hat. Die Virologin Dorothee van Laer von der Med-Uni Innsbruck erklärte inzwischen, sie habe wochenlang erfolglos versucht herauszufinden, wer bei der HG Labtruck überhaupt für die Befunde verantwortlich sei. Die zwei vom Urologen Ralf Herwig angegebenen Partnerlabors in Deutschland und Salzburg, weisen das zurück. Das deutsche Labor hat offenbar keinen einzigen Test ausgewertet, das Labor in Salzburg hat die Kooperation seit November eingestellt und streitet sich seitdem mit HG Labtruck um Millionenforderungen. Auch sonst hat Ralf Herwig in einigen offenen Verfahren mit der Justiz zu tun. Zum Beispiel wegen dem Verdacht auf Körperverletzung mit Dauerfolgen, im Zuge der Behandlung von Erektionsproblemen. Und vor drei Jahren schaffte er es mit Wundermitteln gegen Krebs und Autismus in die Schlagzeilen. Auch das Verfahren in dieser Sache ist noch offen.
An Selbstvertrauen mangelt es dem Medizinunternehmer, der laut Ärztekammer nicht mehr praktizieren darf, jedenfalls nicht. Die Tiroler Landesregierung hat er offenbar nicht zuletzt mit dem von Luigi Colani stammenden futuristischen Design seines Lab Trucks überzeugt, dessen phallische Entschlossenheit nichts zu wünschen übrig ließ.

Colani Truck aus Dortmund

Im Moment herrscht in Tirol Rätselraten, wieviele von den 220.000 PCR-Tests im Lab Truck überhaupt oder jedenfalls fehlerhaft durchgeführt wurden. Und die Tiroler Behörden genauso wie der in Misskredit geratene Wunderdoktor selbst beteuern, dass er persönlich nichts mit Tirol zu tun hätte. Damit nur ja kein Verdacht aufkommen könnte, hier hätten irgendwelche Familienbande eine Rolle gespielt. Das klang im Werbefilm im September 2020, als das futuristische Labor auf seine Adlerrunde geschickt wurde, noch etwas anders.

Nun ja, sein Schwager ist ja auch ein Kitzbühler Eventmanager, der auf Anfrage bestreitet, mit dem Unternehmen des arbeitslosen Urologen irgendetwas zu tun zu haben. Und dann allerdings einräumen muss, dass er die mobilen Testlabors seines Schwagers in Tirol durch die Gegend kutschiert. Muss ja auch einer machen. Ganz arbeitslos ist Ralf Herwig, trotz des Verbots zu praktizieren, natürlich ohnehin nicht. Er amtiert im Kitzbühler Country Club seines Kumpels Richard Hauser als “Experte” für “Zellenergie” und – dreimal darf man raten – “Urologie”. Und natürlich ist Hauser auch Mitglied der legendären Adlerrunde.

 

Rückblick, 5.5.2020: Mittlerweile haben sich Tausende von Corona-Infizierten beim Verbraucherschutzverein VSV gemeldet um Ansprüche gegen das Land Tirol, den Bürgermeister der Gemeinde Ischgl und die dortigen Seilbahnbetreiber anzumelden. Die Ansteckungen in Ischgl sind für einen großen Teil der Corona-Fälle in Nordeuropa, in Deutschland aber auch in Österreich verantwortlich. Das Land Tirol geht nach wie vor davon aus, dass es sich beim ersten Corona-infizierten in Ischgl um einen Ausländer handelt, einen deutschen Barkeeper mit norwegischem Namen. Die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES geht allerdings davon aus, dass eine einheimische Kellnerin schon vorher infiziert war, bei der im März bei einer Testung Virenrückstände festgestellt wurde, und nach eigenem Bekunden schon am 8. Februar Symptome hatte.

Die EU-Kommission will sich mit 1,4 Milliarden Euro an einer globalen Krisenreaktion zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen Corona beteiligen.

Großbritannien, dass dank seiner Regierung zunächst auf „Herdenimmunität“ gesetzt hat, ist inzwischen das Land mit den meisten Corona-Toten in Europa und hat mit über 30.000 Opfern der Pandemie Italien, Spanien und Frankreich hinter sich gelassen. Und dies, obwohl die Zahlen geschönt sind, da Tote in Heimen nicht mitgezählt werden.

 

Erntehelfer

Rückblick, 3.5.2020: Außenminister Schallenberg verhandelt mit der Ukraine über Reisegenehmigungen für ukrainische Erntehelfer. Jedes Jahr braucht Österreich mehr als 14.000 Arbeitsmigranten als Erntehelfer in der Landwirtschaft. Sie leisten harte, schlecht bezahlte körperliche Arbeit. Österreicher finden sich für diese Arbeiten kaum noch. Dieses Jahr sind nun große Teile der Ernte in Gefahr. Österreich will nun eine Luftbrücke für die dringend benötigten Arbeitsmigranten einrichten.

Tausende von Arbeitsmigranten aus Afrika, die in den spanischen Provinzen Huelva und Almeria den Betrieb der größten Produktionsstätten für Früchte und Gemüse in der gesamten EU ermöglichen leiden besonders unter den Auswirkungen des Corona Lock downs. Sie leben dort ohnehin unter menschenunwürdigen Bedingungen in Slumsiedlungen, zum Teil ohne Wasserversorgung, Sanitäranlagen oder Elektrizität. Sie verdienen 30,- € am Tag für schwere körperliche Arbeit. Viele von ihnen leben und arbeiten dort schon seit Jahren, ein Drittel von Ihnen ohne legalen Status. Nun sind viele in ihre Heimatländer zurückgekehrt, andere können aufgrund der Reisebeschränkungen die Farmen nicht erreichen. Diejenigen die weiter arbeiten sind dem Ansteckungsrisiko mehr oder weniger ungeschützt ausgesetzt. So sind nicht nur große Teile der Ernte und damit die europäische Versorgung mit Obst und Gemüse, sondern auch die Menschen, von denen sie in Wirklichkeit abhängt unmittelbar bedroht – und dies auch dann, wenn die spanische Regierung den Lockdown nun wieder zurückfährt.

Die EU-Kommission kündigt eine EU-Finanzhilfe von 3,3 Milliarden Euro an, die mit der Europäischen Investitionsbank den Ländern des Westbalkans zur Überwindung der Krise im Gesundheits- und Sozialwesen zur Verfügung gestellt werden soll.

 

Missverständnisse

Rückblick, 28.4.2020: Präsident Trump hat vor vier Tagen bei seiner Pressekonferenz gefordert, neue Behandlungsmethoden zu prüfen: zum Beispiel die Injektion von Desinfektionsmitteln oder die Bestrahlung mit UV-Licht. Gesundheitsbehörden warnen daraufhin davor, solche Experimente zu machen. Wenig später werden die ersten Todesopfer dieser „Behandlungsmethode“ gemeldet. Trump hat inzwischen erklärt, er habe diese Vorschläge „sarkastisch“ gemeint, um Journalisten zu testen. Ein Missverständnis.

Auch das österreichische Gesundheitsministerium hat mit Verständnisproblemen zu kämpfen. Es stellt nun klar, dass es sich beim „Verbot“ des Besuchs bei Freunden und Verwandten, das in der allgemeinen Wahrnehmung seit Mitte März besteht, um ein „Missverständnis“ handelt.

Die entsprechende Formulierung auf der homepage des Ministeriums besteht aus zwei Fragen und einer Antwort: „Wann enden die Ausgangsbeschränkungen? Wann sind Besuche bei Familienmitgliedern oder Freunden wieder erlaubt?“ „Die Ausgangsbeschränkungen wurden bis Ende April verlängert.“ Nun stellt eine Sprecherin des Ministeriums öffentlich fest, worum es sich bei dieser Nicht-Erlaubnis nicht handelt: „Natürlich ist das kein Verbot“. Vermutlich, weil ein solches Verbot in Wirklichkeit verboten wäre.

Man kann dies als eine typisch österreichische Lösung des gegenwärtigen Dilemmas verstehen. Nur diesmal funktioniert sie umgekehrt. Gesetzliche Verbote gelten ja in Österreich häufig als „Empfehlung“. In diesem Fall ist es eindeutig im Interesse der Pandemiebekämpfung, wenn möglichst viele Menschen diese Empfehlung als „Verbot“ missverstehen und ihre sozialen Kontakte reduzieren. Das kann im Moment nicht schaden.

Die offizielle Zahl der Coronatoten in den USA hat unterdessen die Grenze von 50.000 überschritten, in Großbritannien sind schon mehr als 20.000 Menschen an Covid 19 verstorben. Es zieht damit in dieser traurigen Statistik an Italien und Spanien vorbei.

Nicht missverstanden werden möchte hingegen FPÖ-Vorsitzender Herbert Kickl. Er will allen Österreicherinnen und Österreichern 1000,- € zum Einkaufen in Österreich schenken. Natürlich nur den österreichischen Staatsbürgern.

Unsere Europakarte – Unsere Weltkarte. Ein Update

Europäisches Tagebuch, 23.4.2021: 

 

Rückblick, 23.4.2020: Der EU-Gipfel der Regierungschefs billigt das „Paket“ von bis zu 540 Milliarden Euro Kredithilfen aus dem Rettungsschirm ESM für Kurzarbeit, Unternehmen und verschuldete Staaten. Die Entscheidung über einen Wiederaufbaufonds, der gemeinsam von der EU getragen werden soll, wurde hingegen vertagt. Kommissionspräsidentin von der Leyen soll dafür Vorschläge erarbeiten. So wie die von Deutschland, den Niederlanden und Österreich vehement abgelehnten „Coronabonds“ soll freilich auch der Wiederaufbaufonds teilweise durch gemeinsame Kreditaufnahme finanziert werden. Strittig ist nach wie vor, ob aus dem Fonds nur Kredite oder auch Zuschüsse gewährt werden sollen – und wofür. Klar ist, dass all dies nur geht, wenn die Mitgliedsstaaten höhere Beiträge an die EU zahlen. Österreich lässt dazu nach wie vor keine Bereitschaft erkennen.

Der Führer der italienischen Lega Nord, Matteo Salvini, fordert den Austritt Italiens aus der EU. In Meinungsumfragen halten sich Befürworter und Gegner eines EU-Austritts inzwischen die Waage, eine Mehrheit der Italiener glaubt, dass die EU an Corona scheitern wird. Matteo Salvinis Lega regiert in der Lombardei und muss sich inzwischen kritische Frage gefallen lassen, warum in der Region das Gesundheitssystem so schnell kollabierte und so viele Menschen in Altersheimen gestorben sind. Ganz offenbar haben die von der Lega forcierte Privatisierung und die Sparmaßnahmen mit dazu geführt, dass in der Lombardei allein mehr als die Hälfte der 25.000 italienischen Coronatoten zu beklagen sind.

Der österreichische Innenminister Karl Nehammer erklärt in einem Interview mit dem „Falter“, warum Österreich keine unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge aufnimmt. „Der EU-Türkei-Deal sieht vor, dass nur jene Menschen, die auf den Inseln sind und keinen Asylstatus zugesprochen bekommen, auch wieder in die Türkei zurückzustellen sind.“ Im Klartext: da wir die Flüchtlinge, egal ob Erwachsene oder Kinder, nicht mehr loswerden, wenn sie mal auf dem Festland sind, sperren wir sie jahrelang in menschenunwürdige Elendslager ein und nehmen damit alle möglichen Rechtsbrüche in Kauf. Da wir wissen, dass Erdogan sie eh nicht zurücknimmt, machen wir daraus einen Dauerzustand.

Auf die serbisch-chinesisch(-österreichische) Freundschaft

Rückblick, 19.4.2020: Präsident Vučić feiert den chinesischen Präsidenten Xi Jinping für seine Hilfe gegen die Corona-Epidemie, zum Beispiel für die Zurverfügungstellung von Schutzmasken, die allerdings in Wirklichkeit auf Kosten der EU erworben und nach Serbien eingeflogen wurden. Und während die EU für 7,5 Millionen € Labore in Serbien modernisiert und insgesamt 374 Millionen an die Nicht EU-Staaten auf dem Balkan zur Abfederung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, läuft die serbische Propagandamaschine auf Hochtouren: Das Digitale Forensische Zentrum in Montenegro berechnet, dass zwischen dem 9. März und dem 9. April von serbischen Twitter-Konten 30.000 Tweets versendet wurden, bei denen es um China und Serbien ging. Fast 72 Prozent von ihnen stammten von Roboterkonten – sogenannten Bots –, hinter denen also keine realen Personen stehen. Bei den Tweets ging es meistens darum, China und die chinesisch-serbische Freundschaft wie auch Vučić und die serbische Regierung zu preisen und den Mangel an EU-Hilfe zu bemängeln.

Seit dem 15. März herrscht in Serbien der widerrechtlich unbefristete Ausnahmezustand und damit eine Ausgangssperre. Zuwiderhandeln wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft, eine der ersten Personen, die unter diesem Vorwand festgenommen wurden, war die regimekritische Sängerin Jovana Popovic, die zwar überhaupt nicht gegen die Selbstisolation verstoßen hat, dafür aber das korrupte serbische Regime als „Diebesbande“ beschrieben hat.

Offenbar schon vor einem Jahr hat der Innenminister der türkisblauen Regierung Österreichs, Herbert Kickl, einen Geheimvertrag mit Serbien abgeschlossen, der vorsieht, abgelehnte AsylwerberInnen, die nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können stattdessen nach Serbien abzuschieben, um sie dort auf österreichische Kosten in Lagern festzuhalten. Die Existenz dieses Vertrags ist erst unlängst bekannt geworden. Wieviel Österreich Serbien für diesen Dienst zahlen soll, verrät die Bundesregierung aufgrund „vertragsrechtlicher Vereinbarungen“ nicht. Aus der Antwort von Innenminister Nehammer auf eine parlamentarische Anfrage der Neos geht hervor, dass auch die türkis-grüne Bundesregierung an diesem Vertrag festhalten will. Als Bedingung nennt Nehammer einen „ausreichenden Bezug des Fremden zu Serbien“. Dieser sei gegeben, wenn jemand über die Westbalkan-Route gekommen sei und dabei das Staatsgebiet Serbiens berührt habe. Unklar ist, welche Summen Österreich dafür an das serbische Regime bezahlen will. Erst recht aber ist höchst zweifelhaft, ob die rechtlich zwingenden Voraussetzungen für eine Unterbringung in Serbien (z.B. dass ihnen dort kein Freiheitsentzug droht) überhaupt gegeben sind.

Inzwischen hat die EU für die Rückholung von ca. 500.000 Europäern aus Krisengebieten außerhalb der EU gesorgt.

Hilde Meisel – Hilda Olday – Hilda Monte: The Unity of Europe

Europäisches Tagebuch, 17.4.2021: Heute vor 76 Jahren wurde Hilda Monte in der Nähe des Grenzübergangs Tisis, zwischen Feldkirch und Liechtenstein von einem Grenzbeamten erschossen.
Unter dem Namen Hilde Meisel wurde sie am 31. Juli 1914 in Wien geboren. 1915 zog ihre Familie nach Berlin, wo ihr Vater ein Import-Export Geschäft führte. Schon als Jugendliche schloss sie sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) an, der 1926 vom Philosophen Leonard Nelson gegründet wurde. 1929 besuchte sie zum ersten Mal England, 1932 ging sie für kurze Zeit nach Paris. Regelmäßig veröffentlichte sie in der ISK-Zeitschrift Der Funke Analysen der politischen und wirtschaftlichen Situation in England, Frankreich und Deutschland, Spanien und den Kolonien.
Die Jahre 1933 und 1934 erlebte sie wieder im Deutschen Reich, bevor sie 1934 nach Paris und 1936 nach London emigrierte. Mehrere Male reiste sie auch danach illegal ins Deutsche Reich und half dabei, Aktionen des Arbeiterwiderstands zu organisieren. 1938 ging sie, um ihre Ausweisung aus England zu verhindern, eine Scheinehe mit dem deutsch-britischen Karikaturisten John Olday ein und wurde dadurch britische Staatsbürgerin.

Auch während des Krieges blieb sie im Widerstand aktiv, sei es als Kurierin der Internationalen Transportarbeiter-Föderation oder im Auftrag alliierter Geheimdienste. 1940 erschien ihr gemeinsam mit Fritz Eberhard verfasstes Buch How to conquer Hitler. Sie war am Aufbau des Radiosenders „Europäische Revolution“ beteiligt und arbeitete für die deutschen Arbeiter-Sendungen der BBC. 1942 berichtete sie im Radio auch über die begonnene Massenvernichtung der Juden im besetzten Polen. Daneben schrieb sie Gedichte – und arbeitete an ihrem Roman Where Freedom Perished, der erst 1947 erscheinen sollte.

1943 erschien in London ihr Buch The Unity of Europe, in dem sie eine Vision für ein vereintes sozialistisches Europa mit gemeinsamen Institutionen, als politisch unabhängige revolutionäre Kraft zwischen den USA und der Sowjetunion entwickelte.  1944 ließ sie sich zusammen mit Anna Beyer, einer ISK-Kameradin, im Auftrag des britischen und amerikanischen Geheimdienstes und österreichischer Sozialisten im besetzten Frankreich mit dem Fallschirm abwerfen, um Kontakte zur Resistance zu knüpfen. Bald darauf holten René und Hanna Bertholet sie in die Schweiz, ins Tessin und nach Zürich, wo sie mit sozialistischen Emigranten gemeinsam Pläne für die Zeit nach der Befreiung entwarfen – und Hilda Monte davon träumte in China Genossenschaften aufzubauen und alternative Wirtschaftsformen zu studieren, während sie in Mußestunden Tonskulpturen anfertigte.

Im April 1945 meldete sie sich erneut für einen heiklen Auftrag. Von Zürich aus ging sie illegal über die Grenze, um Kontakt mit Sozialisten in Vorarlberg herzustellen, mit einem Fragebogen im Kopf, der das Verhältnis verschiedener Widerstandsgruppen zu einander und die politischen Perspektiven in Vorarlberg nach der Befreiung ausloten sollte. Vermutlich sollte sie auch die Möglichkeiten ausloten, sozialistische Emigranten ins Reich zu schleusen, um den politischen Neuanfang nach der Befreiung vorzubereiten.
Auf dem Rückweg von Feldkirch nach Liechtenstein wurde sie am 17. April 1945 in der Nacht an der Grenze von einer Grenzwache aufgegriffen und im Zollamt Tisis festgehalten. Beim Versuch, in den Morgenstunden zu fliehen, wurde sie angeschossen und verblutete an Ort und Stelle.
Ihre gefälschten Papiere wiesen sie als Eva Schneider aus Berlin aus: „Kontoristin im Propagandaministerium“. Sie wurde als „vermutlich protestantisch“ auf dem evangelischen Friedhof von Feldkirch beigesetzt. Österreichische Sozialisten setzten auf ihr Grab den Stein mit der Inschrift: „Hier ruht unsere unvergessliche Genossin Hilde Monte-Olday. Geb. 31.7. 1914 in Wien. Gest. 17.4.1945 in Feldkirch. Sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee“.
Viele ihrer Genossinnen und Genossen wurden prominente Mitglieder der SPD, wie Susanne Miller und Willi Eichler, der große Teile des Godesberger Programms schrieb, Gründerinnen und Gründer politischer und philosophischer Akademien oder, wie Hanna und René Bertholet, der Europäischen Verlagsanstalt in Hamburg. All dies hat Hilda Monte, geboren am Beginn des ersten Weltkriegs, getötet in den letzten Kriegstagen des zweiten, nicht mehr erlebt.
Heute haben Vertreter der ev. Kirche Feldkirch, des Jüdischen Museums Hohenems und der Sozialdemokratischen Partei Österreichs gemeinsam eine Gedenktafel an ihrem frisch restaurierten Grab enthüllt.

Grab von Hilda Monte

Lucian Brunner: Sprachenstreit und Nationalitätenhader

Europäisches Tagebuch, 15.4.2021: Heute vor 107 Jahren starb der ehemalige Wiener Gemeinderat Lucian Brunner in Wien. Geboren wurde er am 29 September 1850 in Hohenems als Sohn von Marco Brunner und Regina Brettauer. Lucians Vater war wie die meisten seiner Brüder und Cousins in ihrer Jugend nach Triest aufgebrochen um an dem regen Textilhandel zwischen St. Gallen und dem Mittelmeerraum zu partizipieren, mit dem die Familie Brunner ihren steilen ökonomischen Aufstieg begann. Später ging Marco Brunner nach St. Gallen, wo er die Geschäfte der Familie in der Schweiz vertrat und bald auch das „Bankhaus Jakob Brunner“ führte, aus dem später einmal die UBS hervor gehen sollte.
1883 trat auch Lucian Brunner als Kompagnon in die Privatbank seines Vaters in St. Gallen ein. Bald darauf, 1889, ließ Lucian sich mit seiner Frau Malwine Mandel in Wien nieder, wo er sein eigenes Bankgeschäft gründete aber auch als Industrieller und Politiker tätig wurde. Er engagierte sich in einer kleinen liberal ausgerichteten Partei, den „Wiener Demokraten“, für die er von 1896 bis 1901 dem Wiener Gemeinderat angehörte, wie auch als Obmann des „Demokratischen Zentralvereins“ und als Herausgeber der dazugehörigen Zeitung „Volksstimme“. Im Wiener Gemeinderat trat er immer wieder dem antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger entgegen, wo er den immer lauter werdenden nationalistischen Parolen widersprach. In der Auseinandersetzung um die Badenische Sprachenverordnung vertrat er gegenüber der aufwallenden Feindseligkeit gegenüber den Tschechen eine mäßigende Position. Er vertrat die Ansicht, dass die deutsche Verkehrssprache nicht mit nationalistischem Ressentiment, sondern aus Vernunftgründen verteidigt werden müsse, ohne die Sprachminderheiten im Reich abzuwerten. „Die Vertretung der Stadt Wien (…) muß sich gegenwärtig halten, daß sie nicht bloß das Zentrum eines Landes ist, welches von einer Nationalität bewohnt ist, sondern von vielen Nationalitäten und es soll daher verhütet werden, daß etwa eine andere Nationalität des Reiches glaube, daß in dieser Resolution eine Spitze, eine Feindseligkeit gegen sie enthalten sei. (…) Es ist ja seit Jahr und Tag bei uns in Österreich üblich, daß man eine Politik der Schlagwörter macht und zu den zügigsten dieser Schlagwörter gehört der Nationalitätenstreit und der Nationalitätenhader. Wenn eine politische Partei nichts mehr anzufangen weiß, dann fängt sie an, Nationalitätenstreitigkeiten hervorzurufen.“ Als im Oktober 1897 Vertreter der tschechischen Minderheit in Wien eine neue Schule für sich forderten, ging er ebenfalls auf Distanz zum nationalen Furor und rief dazu auf Pluralismus zuzulassen – und verweis dabei auf seine eigenen Erfahrungen als Angehöriger der deutschen Minderheit in Triest. Stattdessen wurde er im Gemeinderat als „Jude“ beschimpft. „Gerade der Zwang, mit dem man die Völker Österreichs zum Deutschtum zwingen wollte, hat das Deutschtum geschädigt. (…) Wir wollen das Recht für unsere Minoritäten, deshalb dürfen wir selbst auch nirgends das Recht einer Minorität unterdrücken! Außerdem steht es der großen deutschen Kulturnation nicht gut an, wenn sie sagt, wir fürchten uns vor dieser tschechischen Schule in Favoriten. (…) Ich bin ein Jude, wie Sie ganz richtig sagen, und meine Herren, ich bin froh daß ich einer bin.“

Vollends zum Feindbild der Christlichsozialen wurde er mit seinem Protest gegen eine geplante Kirchenbausubvention der Christlichsozialen Mehrheit. Gegen dieses Bruch mit der Religionsneutralität des Staates reichte Lucian Brunner eine Klage ein, die schließlich vor dem Höchstgericht Erfolg hatte. Damit verteidigte er die verfassungsmäßig garantierte Trennung von Kirche und Staat – und wurde nun zum beliebten Ziel andauernder antisemitischer Angriffe, in Wien wie in Vorarlberg. Lucian Brunners erste Frau, Malwine, starb während dieser Kampagnen, die der Familie Brunner auch persönlich zusetzten.
Mit seiner Heimatgemeinde Hohenems blieb Brunner immer in engem Kontakt. So spendete er beispielsweise für den Bau des Krankenhauses und der Turnhalle namhaften Summen. Mehrfach versuchte er auch in Zusammenarbeit mit Hohenemser Liberalen und der Fabrikantenfamilie Rosenthal Straßenbahnprojekte in Hohenems zu realisieren, die Hohenems mit der Schweizer Eisenbahn jenseits des Rheins oder auch mit Lustenau verbinden sollten. Ein letztes Straßenbahnprojekt, das 1911 den Hohenemser Bahnhof mit der Rosenthalschen Fabrik im Süden der Marktgemeinde verbinden sollte, kam ebenfalls nicht zustande, da die Wirtschaftslage die Firma Rosenthal inzwischen schwer in Mitleidenschaft zog. Auch in Hohenems agitierten die Christlichsozialen inzwischen gegen den „Juden“ Brunner – und gegen die Rosenthals, die die Schule mit italienischen Kindern „vollstopfen“ würden.
Brunner blieb zeitlebens ein Liberaler, auch wenn er am Ende seines Lebens die zionistische Bewegung in Wien unterstützte, wohl aus Enttäuschung über die politische Entwicklung in Österreich. Als er am 15. April 1914 in Wien starb, hinterließ er ein Legat für eine überkonfessionelle Schule in seiner Heimatgemeinde. Der Hohenemser Gemeinderat nahm das Legat nicht an. Eine überkonfessionelle Schule war nicht erwünscht.

Rückblick, 15.4.2020: US-Präsident Trump erklärt, der Höhepunkt der Corona-Pandemie sei überschritten. Und kündigt an, dass die USA ihre Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation WHO einstellen wird. Der deutsche Entwicklungsminister Müller erklärt hingegen, die Zahlungen an die WHO zu erhöhen: „Die WHO muss jetzt gestärkt werden, nicht geschwächt. Inmitten der Pandemie die Mittel zu kürzen, ist der absolut falsche Weg.“
Trump entscheidet außerdem, dass die von der US-Regierung angekündigten „Not-Schecks“ an ca. 70 Millionen Bedürftige in den USA – in Höhe von 1200,- $ – seinen Namen tragen sollen, mitten im beginnenden Wahlkampf. Das hat es in der amerikanischen Geschichte noch nicht gegeben.
Trump droht damit, das Parlament in die Zwangspause zu schicken, mit der Begründung er wolle freie Stellen ohne parlamentarische Beteiligung besetzen. Von der Möglichkeit eine Parlamentspause zu anzuordnen, hat ebenfalls noch nie ein amerikanischer Präsident Gebrauch gemacht. Trump spielt bei einer Pressekonferenz mit zirkulierenden Verschwörungstheorien, z.B. dass der Virus aus einem chinesischen Labor stamme.

EU-Kommissionspräsidentin van der Leyen fordert indessen mehr Gemeinsamkeit der EU-Mitglieder ein: „Ein Mangel an Koordination beim Aufheben der Beschränkungen birgt die Gefahr von negativen Effekten für alle Mitgliedsstaaten und würde wahrscheinlich zu einem Ansteigen der Spannungen unter den Mitgliedsstaaten führen. Es gibt keinen ‘one-size-fits-all’-Ansatz in der Krise, aber die Mitgliedstaaten sollten sich mindestens gegenseitig informieren“, mahnt die EU-Behörde in Brüssel. Van der Leyen kündigt einen Wiederaufbauplan für Europa an, der einen gemeinsamen Fonds beinhalten soll.

Auf den griechischen Inseln werden nach wie vor 40.000 Flüchtlinge unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern festgehalten. Heute werden 12 (in Worten ZWÖLF) aus Syrien und Afghanistan stammende Kinder aus Athen nach Luxemburg ausgeflogen. Luxemburg ist damit das erste von elf Ländern, die sich bereit zeigen, einige wenige unbegleitete oder kranke Minderjährige aus den Lagern aufzunehmen. Außer Luxemburg beteiligen sich Deutschland, die Schweiz, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Kroatien, Finnland, Irland, Portugal und Litauen an der Rettungsaktion. Am Samstag sollen 58 Kinder nach Deutschland folgen. Die österreichische Bundesregierung weigert sich nach wie vor, dabei zu helfen, obwohl zahlreiche Bürgermeister inzwischen angeboten haben, neue Flüchtlinge aufzunehmen.

Combattants for Peace

Europäisches Tagebuch, 14.4.2021: Neben all dem deprimierenden Unsinn, der über Israel und Palästina geredet wird, jenseits all der Demagogie und des Fanatismus gibt es auch andere Stimmen. 200.000 Menschen haben gestern online an der jährlichen Zeremonie der Combattants for Peace teilgenommen, am Vorabend des Israelischen Nationalfeiertags, an dem vor allem Erinnerung unterdrückt wird, die Erinnerung an die Katastrophe der Palästinenser. Statt Helden und Märtyrer zu besingen, wird an diesem Abend der Opfer auf BEIDEN Seiten gedacht. Es ist deswegen auch kein Wunder, dass unsere “freie Presse” in Europa über diese Veranstaltung kaum berichtet. Wird dort doch Klartext geredet. Und daran gearbeitet, die Logik des Konflikts zu durchbrechen, an dem sich große Teile der Welt, von allen Seiten aus (!) zu weiden gewohnt hat. Hier die Aufzeichnung dieses bewegenden Abends:
https://afcfp.org

Corona: Zum Stand der Dinge

Europäisches Tagebuch, 12.4.2021: Wer versucht die verschiedenen Corona-Bilanzen weltweit im Vergleich zu verstehen, stößt vor allem auf Widersprüche. Oder auf durchwachsene Erfolgsmeldungen.

Großbritannien hat es geschafft, das Infektionsgeschehen radikal einzudämmen und ist im europäischen Maßstab mit der Durchimpfung der Bevölkerung weit fortgeschritten. Freilich hat das Land auch die meisten Todesfälle Europas zu verzeichnen. Inzwischen sind es 127.000. Italien folgt mit 114.000 Todesfällen und wird Großbritannien bald überholt haben, was Tote pro Kopf der Bevölkerung angeht. Auch Frankreich wird bald 100.000 Tote zählen. Deutschland, dass europäische Land mit der größten Bevölkerung hingegen steht bei 78.500 Toten, auch wenn über das „Impfchaos“ geschimpft wird, so wie in Österreich oder der Schweiz, die so wie Deutschland ebenfalls mit ihren 9700-9800 Toten eher zu Ländern zählen, die bisher die wenigsten Toten pro Kopf betrauern müssen.

Die dramatischste Todesrate Europas hat Tschechien aufzuweisen, mit 28.000 Toten und einer Bevölkerung von 10,6 Millionen.

Außerhalb Europas hält die USA nach wie vor den zynischen Spitzenwert von 560.000 Toten, vor Brasilien, das inzwischen 353.000 offiziell dokumentierte an Covid-19 Verstorbene aufweist – und ein derzeit völlig außer Kontrolle geratenes Infektionsgeschehen mit den weltweit mit Abstand meisten Toten am Tag. Immerhin: in Brasilien weiß man woran es liegt: das Land mit dramatischen sozialen Gegensätzen und riesigen Elendsquartieren am Rande seiner Metropolen wird von einem Faschisten regiert, der keine Gelegenheit auslässt, zu demonstrieren, wie wenig ernst er die Pandemie nimmt.

Dunkelziffern gibt es zudem in vielen Ländern, am höchsten ist sie vermutlich in Russland, dass sich rühmt nur wenig mehr als 100.000 Tote gezählt zu und als erstes einen Impfstoff, nämlich Sputnik-V zugelassen zu haben. Rechnet man die Übersterblichkeit der vergangenen Monate in die Bilanz ein, so gehen unabhängige Beobachter in Summe von über 400.000 Toten aus. Viele von ihnen haben die Todesursache: „Viruspneumonie, nicht näher bezeichnet“. (In den USA beträgt die Differenz zwischen den offiziellen Coronatoten und der Übersterblichkeit seit Beginn der Pandemie, nur etwa 15.000 Menschen).

Auch wenn Sputnik-V mit viel Medienecho schon 2020 zum Einsatz kam – geimpft sind in Russland erst 6% der Bevölkerung mit einer ersten Dosis. Die Impfskepsis grassiert genauso wie die Pandemie, so richtig traut man der Politik und den Behörden nämlich nicht. Und Russland scheint den Impfstoff eher als zur Ankurbelung des Exports zu benutzen, in Länder, von denen man sich Geld oder auch politische Gefälligkeiten erwartet, wie Serbien.

Zum Vergleich: In Österreich sind fast 17% der Bevölkerung inzwischen mit einer ersten Dosis geimpft, in Deutschland 16%, in Italien 15%, in der Schweiz etwas über 12%, in den USA sind es inzwischen, durch einen beispiellosen Kraftakt nach dem Ende der Ära Trump nun 36%. In Brasilien, wo die Pandemie derzeit wütet wie nirgendwo auf der Welt nur 10%.

Und Israel? Das Land dass es mit fast 60% Durchimpfung mit einer ersten Dosis vermeintlich geschafft hat, „Herdenimmunität“ zu erreichen und nun weltweit als leuchtendes Beispiel gehandelt wird? Was kann man aus diesem Beispiel lernen?
Von einem Regierungsschef, der sein eigenes politisches Überleben an den Erfolg der Pandemiebekämpfung geknüpft hat und stolz darauf ist, den Chef des wichtigsten Impfstofflieferanten Pfizer regelmäßig nachts aus dem Schlaf geklingelt zu haben? Wieviele können ihm das nachmachen?
Ein Land das, kontinuierlich im militärischen Ausnahmezustand, seine eigene Bevölkerung nun durch den Geheimdienst überwacht und sämtliche Gesundheitsdaten exklusiv an Pfizer verkauft hat, und um diesen Preis nun vor allen anderen Ländern mit den Lieferungen bevorzugt wurde, genauer gesagt, auf Kosten von allen anderen Ländern.
Und auf Kosten der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, von denen nur diejenigen geimpft werden, die in Israel “systemerhaltende” Jobs haben. Natürlich war die palästinensische Führung zu stolz, um Israel offiziell um Impfstoffe zu bitten und hat stattdessen auf Sputnik-V gesetzt. Doch für den größten Teil der palästinensischen Bevölkerung ist die israelische Regierung verantwortlich, auch wenn sie immer wieder beteuert, dass der Vertrag von Oslo die Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung der Palestinian Authority übergeben hätte. Doch jeder weiß, dass der Vertrag von Oslo inzwischen das Papier nicht mehr Wert ist, auf dem er geschrieben wurde. Und seine Regelungen über palästinensische Teilautonomie ohnehin niemals das gesamte besetzte Gebiet und sein Bevölkerung umfasst hat.
Was an all dem soll nun als leuchtendes Vorbild dienen?

Rückblick, 12.4.2020: Einer Meinungsfrage in Italien zufolge will fast die Hälfte aller Italiener aufgrund des unsolidarischen Verhaltens mancher europäischer Staaten die EU verlassen.

Die USA hat mit 20.600 offiziell bestätigten Todesopfern Italien überholt. Bis zum Abend steigt die Zahl auf 22.000. Davon sind ca. 3600 Tote aus Altenheimen gemeldet worden. Eine hohe Dunkelziffer wird angenommen. Dies gilt auch für Großbritannien. Dort sind es nun über 10.000 bestätigte Todesopfer. Die britische Statistik erfasst allerdings nur die in Krankenhäusern Verstorbenen, nicht die Toten in Seniorenheimen, Pflegeheimen oder Privatwohnungen.