Europäisches Tagebuch, 6.4.2021: Die Chat-Protokolle verschiedener österreichischer Politiker lesen sich wie das Drehbuch einer neuen ORF-Serie unter dem Titel die „Vorstadtbuben“. Oder nicht doch besser “Die Familie” – schließlich geht es um die 26 Milliarden schwere Österreichische Staatsholding Öbag (Österreichische Beteiligungs AG).
„Du bist Familie“ – Gernot Blümel an Thomas Schmid.
Juni 2017: Sebastian Kurz lässt den Kabinettschef im Finanzministerium Thomas Schmid Ideen für die staatlichen Beteiligungen entwickeln. Schmid war in den 2000er Jahren Pressesprecher von Finanzminister Karl Heinz Grasser, dann Büroleiter des ÖVP-Klubobmanns und Ex-Kanzler Schüssel. 2013 wurde er Kabinettschef im Finanzministerium, zunächst unter Hans Jörg Schelling, dann unter Hartmut Löger.
Juli 2017: Sebastian Kurz wird neuer Parteichef der ÖVP und lässt die Koalition mit der SPÖ platzen.
November 2017: Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ werden auch die Posten in diversen von der Republik kontrollierten Unternehmen verteilt. Thomas Schmid an Sebastian Kurz: „cooler Deal für ÖVP“. Zu den ausgehandelten „Deals“ gehört auch die Umwandlung der damaligen Staatsholding Öbib GmbH in eine Aktiengesellschaft, die Öbag.
Dezember 2017: Thomas Schmid bittet Sebastian Kurz, dafür zu sorgen, dass die Zuständigkeit für die neue Staatsholding beim Finanzministerium bleibt. Aus seinen Ambitionen, zur Staatsholding zu wechseln macht er intern kein Geheimnis. Aber Kurz wolle noch, dass er im Finanzministerium bleibe.
Wenig später fordert Schmid den neuen Kanzleramtsminister Gernot Blümel auf, er möge ihm helfen, das neue Gesetz „rasch umzusetzen! Das bist du mir echt schuldig!“. Offenbar ist er nervös. Aber vielleicht scherzt er ja auch nur: „Ich stürze mich heute in die Donau und du bist schuld!“ schreibt Schmid an Blümel. „Alles ein Schaas“, antwortet Blümel.
Februar 2018: Gerüchte über die geplante Neuaufstellung der Staatsholding und eine mögliche Besetzung des Spitzenjobs mit Thomas Schmid, inzwischen Generalsekretär im Finanzministerium, sickern durch. „Ich will keine ÖBIB Storys mehr“, lässt Schmid einen Pressesprecher wissen. Die würden ihm nur schaden. Kanzler Kurz verspricht, bei der Presse zu intervenieren. Thomas Schmid an Kanzler Kurz: „Dich zu haben ist so ein Segen! Es ist so verdammt cool jetzt im BMF (Finanzministerium; Anm.)!!! Danke Dir total dafür!!“
Juli 2018: Thomas Schmid plant schon seinen Umzug in die Chefetage der noch nicht gegründeten Öbag. Es geht um solche Details, wie die Frage, welcher Chauffeur mitkommt und den Einbau einer Klimaanlage.
5. Oktober 2018: Thomas Schmid lässt den damaligen Kanzleramtsminister und Regierungskoordinator Gernot Blümel wissen, es sei mit der FPÖ ein „gutes Paket“ vereinbart: türkiser Alleinvorstand bei der Öbag und zwei Aufsichtsratsposten für die FPÖ.
Im November 2018 macht sich Thomas Schmid noch einmal Sorgen, seine Bestellung zum Alleinvorstand der ÖBAG könnte an Ungeschicklichkeiten des Finanzministers scheitern. Am 13. November tauscht er sich mit einem Pressereferenten im Finanzministerium über Finanzminister Hartwig Löger aus:
Schmid: „Das ist totale Unprofessionalität. Wenn seine Dummheit verhindert, dass ich in die Öbag darf, bin ich echt sauer.“
Pressereferent: „Das können sie dir nicht mehr nehmen. Das wäre komplett irre.“
Schmid: „Hoffentlich. Das schadet alles unserem Ruf. Der fährt das BMF an die Wand kommunikativ. (…) Bei dem musst du so aufpassen. Alles du machen. Und wenig Medien. Fernsehen vermeiden.“
Pressereferent: „Aber wie können wir ihm beibringen, dass er fleißig sein muss und Briefings forciert?“
Schmid: „Gar nicht. Das ist ein 60-jähriger Mann.“
Dezember 2018: Das neue Öbag-Gesetz wird beschlossen. „SchmidAG fertig“, lässt Gernot Blümel Thomas Schmid wissen (unter Hinzufügung eines kräftigen Oberarm-Emojis).
Januar 2019: Es werden Aufsichtsratsmitglieder für die ÖBAG gesucht. Als Beraterin Schmids für die Suche nach weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern fungiert Gabriela Spiegelfeld. Gabriela Spiegelfeld hat offenbar Mühe, Frauen zu finden, die sich dafür hergeben: Sie schreibt an Schmid: „Mir gehen die Weiber so am Nerv. Scheiß Quote“.
Wonach gesucht wird zeigt sich in einer Nachricht von Schmid an Kanzler Kurz am 24.1.2019: „wirklich eine gute! Compliant, Finanzexpertin, steuerbar, Raiffeisen und sehr gutes Niederösterreich Netzwerk, Sie hat für NÖ auch delikate Sachen sauber erledigt“.
Auch bei Finanzminister Löger beklagt sich Schmid: „Bestellung in der ÖBAG stockt – Frauenthema“ und bemerkt „Sophie Karmasin wäre gut steuerbar“.
Die Ausschreibung für die Besetzung des Alleinvorstands wird nun auf ihn zugeschnitten. „Ich bin aber nicht international erfahren. Ich habe immer in Österreich gearbeitet“, schreibt Schmid einer Mitarbeiterin. Die entsprechende Anforderung in der Ausschreibung wird gestrichen.
15. Februar 2019: der neue Aufsichtsrat der Öbag wird bestellt. Bis zuletzt gibt es Probleme mit Kandidaten. Die favorisierte Aufsichtsratschefin sagt noch am Vortag ab. Auch der ehemalige deutsche – und über eine Plagiatsaffäre gestolperte – Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist im Gespräch. Schließlich übernimmt Helmut Kern den offenbar ungeliebten Job.
Anfang März 2019: Thomas Schmid, noch Generalsekretär im Finanzministerium, trifft sich mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka. Es geht um die Kritik der Kirchen an der Flüchtlingspolitik der Regierung. Als Druckmittel auf die Kirche wird eine Streichung kirchlicher „Steuerprivilegien“ und eine Kürzung von Förderungen erwogen. „Wir werden ihnen ordentliches Package mitgeben“, schreibt Schmid an Kanzler Kurz. „Im Rahmen eines Steuerprivilegien-Checks aller Gruppen in der Republik wird für das BMF (Finanzministerium) auch die Kirche massiv hinterfragt“.
Kanzler Kurz vor dem Gespräch an Schmid. „Ja super. Bitte Vollgas geben.“
Schmid nach dem Gespräch an Kanzler Kurz am 13.3.2019: „Also Schipka war fertig!“ Er habe ihm die Pläne zur Streichung von Steuerprivilegien und zur Kürzung von Förderungen dargelegt. „Er war zunächst rot, dann blass, dann zittrig. Er bot mir Schnaps an, den ich in der Fastenzeit ablehnte weil Fastenzeit.“
Kurz’ Kommentar: „Super danke vielmals!!!! Du Aufsichtsratssammler:)“ Schmid: „Das ist dort mein Hauptberuf – bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate. Das wäre ja wie Wiener Stadtrat ohne Portfolio.“ Kurz: „Kriegst eh alles was du willst“ (drei Küsschen-Emojis). Schmid: „Ich bin so glücklich :-))) … Ich liebe meinen Kanzler“.
25. März 2019: Thomas Schmid und Sebastian Kurz sind beim Industriellen Klaus Ortner zum Abendessen eingeladen, dem Großspender der „neuen ÖVP“, „familiär und gemütlich“ wie Schmid schreibt. „Den Kanzler erlebt man auch nicht oft so entspannt!“, bedankt er sich in einer SMS bei Ortner. Ortners Tochter ist kurz zuvor in den Öbag-Aufsichtsrat bestellt worden. Mit fünf der neun Mitglieder hat sich Schmid in den vergangenen zwei Wochen persönlich getroffen.
26. März 2019: Hearing für die Besetzung des Alleinvorstands der Staatsholding Öbag. Thomas Schmid wird, wie zu erwarten, als „bester Bewerber“ eingestuft. „Hearing ist super gelaufen. War der Beste. Trotz einiger guter Bewerber“, schreibt er an den Mann von Gabriela Spiegelfeld – den Immobilienunternehmer Georg Spiegelfeld, Aufsichtsrat der Bundesforsten.
27. März 2019: Thomas Schmid wird zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag bestellt.
Ein Jahr später – die türkis-blaue Koalition ist Geschichte – ist die Postenbesetzung Gegenstand im Ibiza-Untersuchungsausschuss:
Gernot Blümel im Ibiza-Untersuchungsausschuss am 25.6.2020: „Nun, was die Vorstandsbestellung in der Öbag betrifft, so ist das ja auch klar geregelt, dass das eine Aufgabe des Aufsichtsrates der Öbag ist. Ich war ja lediglich im Nominierungskomitee der Öbib dabei, und insofern ist auch das nicht in meinen Zuständigkeitsbereich gefallen.“
Sebastian Kurz im Ibiza Untersuchungsausschuss am 24.6.2020: „Von mir ist das nicht ausgegangen, aber soweit ich mich erinnern kann, hat er mich irgendwann davon informiert, dass er sich bewerben wird. Es war auch in den Medien ein Thema.“ „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich für ihn eingesetzt habe, aber ich habe ihn für qualifiziert gehalten.“
Quellen: Reichlich, z.B.:
https://www.derstandard.at/story/2000125434848/wie-die-chats-zu-den-aussagen-von-schmid-kurz-co
Rückblick, 6.4.2020: Inzwischen sind mehr als 250.000 irgendwo auf dem Erdball gestrandeter Europäer auch mit Hilfe der EU in ihre Heimatländer zurückgeflogen worden. Weitere 350.000 hätten Antrage auf Rückholung gestellt, doch angesichts der zunehmenden Schließung der Lufträume werde diese immer schwieriger, warnt der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell.
Im Marchfeld in Österreich fehlen inzwischen alleine für die Spargelernte 3000 rumänische Erntehelfer. Eklatante Ernteausfälle werden erwartet. Währenddessen machen Firmen dubiose Geschäfte mit unterbezahlten einheimischen Leiharbeitern, die mit illegalen Vertragskonstruktionen beschäftigt werden.
FPÖ-Chef Norbert Hofer fordert das Ende der EU als politische Union.