Europäisches Tagebuch, 20.11.2020: Die Kabale war zu erwarten. Dass die Mehrheit der EU-Mitglieder nun ernst machen wollen mit der Bindung von EU-Förderungen an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Standards hat das angekündigte Veto Polens und Ungarns gegen das EU-Budget, und damit auch gegen die 750 Milliarden umfassenden Hilfen zur Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitspolitischen Folgen der Corona-Krise, nach sich gezogen. Auch der gestrige EU-Sondergipfel hat an der Blockade des EU-Budgets durch Polen und Ungarn nichts geändert.
Gegen beide Länder läuft ohnehin schon ein EU-Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags aufgrund zahlreicher und wachsender Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Wissenschaften. Ungarn und Polen lassen wenige Gelegenheiten aus, immer wieder auszuloten, wie weit sie damit gehen können.
Viktor Orban behauptet nun, in Wahrheit ginge es der EU darum Ungarn zur Aufnahme von Migranten zu zwingen und bekommt dafür von der FPÖ in Wien Applaus.
Sowohl Polen wie auch Ungarn leiden in der Tat an einer grassierenden Emigration – gut ausgebildeter junger Menschen, die Ungarn und Polen verlassen um anderswo ihr Glück zu suchen. Die Vertreibung der Central European University aus Budapest ist nur ein Glied in einer langen Kette von entmutigenden Ereignissen, die diesen Aderlass beschleunigen.
Der EU hingegen geht es hingegen nicht zuletzt um die grassierende Korruption, die von einer eingeschüchterten Justiz nicht mehr bekämpft werden kann. Und um fehlende öffentliche Kontrolle korrupten Regierungshandelns angesichts einer Presselandschaft, die sich zum Beispiel in Ungarn schon fast vollständig in den Händen von Viktor Orban und seiner Gefolgschaft befindet.
Der mühsam zwischen Rat, EU-Kommission und Parlament ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass eine qualifizierte Mehrheit von 15 Staaten im Rat, die mindestens 65% der Bevölkerung der EU repräsentieren, EU-Gelder sperren kann, wenn droht, dass die Verwendung dieser Gelder keiner demokratischen, rechtstaatlichen Kontrolle mehr unterliegt. Damit ist zumindest ein erstes Signal an die Regierungen in Warschau und Budapest gerichtet, wohl auch an andere, die sich hier gemeint fühlen können.
Auch der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa attackiert nun die deutsche Ratspräsidentschaft dafür, den im Rat erst vor wenigen Tagen mit slowenischer Zustimmung ausgehandelten Kompromiss jetzt auch umsetzen zu wollen. Jansa droht selbst freilich kein Veto an. Wohl weil er nicht so recht weiß, was er sich damit einhandelt.
Das Veto Polen und Ungarns kann sich als Bumerang herausstellen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte droht schon damit, das reguläre EU-Budget als Nothaushalt weiterzuführen und den Corona-Fonds als bilaterale Vereinbarung der übrigen 25 Staaten zu verabschieden, wobei Polen und Ungarn dann leer ausgingen. Derweilen üben sich Polen und Ungarn in Kriegsrhetorik. Man führe einen „Freiheitskampf“ gegen die „Sklaverei“. In der polnischen Bevölkerung kommt das nicht schlecht an. Ungarn hingegen zündet die nächste Eskalationsstufe.
Viktor Orban setzt bei der Bekämpfung von Covid-19 demonstrativ auf den russischen Impfstoff Sputnik V, obwohl sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Verteilung von in der EU zugelassenen Impfstoffen geeinigt haben. Russlands Raumsonde Sputnik 1 löste im Westen 1957 den Sputnik-Schock aus, denn Russland war damit der erste Start eines künstlichen Erdsatelliten gelungen und das noch vor den USA. Sputnik 1 sendete ein Kurzwellensignal und verglühte schließlich nach 92 Tagen Piepsen in der Erdatmosphäre. Die Sputnik V Mission war schon ein Test für bemannte Raumflüge. An Bord waren zwei Hunde, 40 Mäuse und zwei Ratten, die immerhin wohlbehalten einen Tag später wieder auf der Erde landeten. Mit einem zweiten Sputnik Schock ist freilich nicht zu rechnen. Russland wird genug damit zu tun haben seine eigene Bevölkerung zu schützen. Derzeit steigt die Zahl der Corona-Toten auch in Russland dramatisch an. Das Warten auf das Sputnik-Wunder dauert noch an.
Über „illiberale Demokratie“ und die Lage des Rechtsstaates in Ungarn, über die Situation von Frauen zwischen Corona und Rechtspopulismus – und über die Emigration der Central European University nach Wien sprach Felicitas Heimann-Jelinek mit Professorin Andrea Petö am 10. September 2020 in Wien.
Ja, es ist richtig, Rechtsstaatlichkeit bei Ungarn und Polen einzufordern und Sanktionen anzudrohen. Aber warum nicht bei Rumänien, Bulgarien und Malta?
Sie haben ganz Recht, aber genau das ist auch der Fall. Der beschlossene EU-Sanktionsmechanismmus bei Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit richtet sich nicht gegen irgendein bestimmtes Land. Die Regierungschefs von Polen und Ungarn haben aber dagegen ihr Veto eingelegt, und damit natürlich die Diskussion über die Verhältnisse in ihren Ländern noch prominenter ins Rampenlicht gerückt. Was ihnen egal ist, weil sie das Thema zum innenpolitischen Machterhalt nutzen wollen. Und das kann ihnen, wenn die EU nachgeben sollte, natürlich auch gelingen. Rumänien, Malta und Bulgarien waren aber in den entsprechenden Berichten an die EU-Kommission und an das Parlament durchaus kritisch thematisiert, nicht zuletzt was Themen wie Korruption und Unabhängigkeit der Justiz anlangt.