Europäisches Tagebuch, 31.1.2021: Der österreichische Bundesinnenminister hat sich auf den absoluten Nullpunkt hinab begeben, zum Kältepol. Minus 274 Grad Celsius, oder 0 Grad Kelvin. Im Österreichischen Fernsehen erklärt er einer fassungslosen Lou Lorenz-Dittlbacher, was er unter Betroffenheit versteht. Auf ihre Frage, wie er als Vater zu den jüngsten gewaltsamen Abschiebungen von in Österreich geborenen und aufgewachsenen, bestens integrierten Kindern nach Georgien und Albanien steht, bringt er es fertig zu sagen, er sei auch betroffen, wie Eltern ihren Kindern das antun können.
Wie Eltern es also ihren Kindern antun können, alles zu versuchen, damit sie einmal ein besseres Leben haben? Wie Eltern es ihren Kindern antun können, sie ausgerechnet in Österreich groß zu ziehen? Wie Eltern es ihren Kindern antun können, sie Deutsch zu lehren und darauf zu hoffen, dass sie hier ihren Weg finden können?
Er meint natürlich folgendes: Diese Eltern drohen ihm, dem starken Mann, mit Kontrollverlust. Sie drohen ihm damit, dass ihre Kinder ihnen wichtiger sind, als ein österreichisches Asylrecht, dass schon seit vielen Jahren scheibchenweise demontiert wurde. Und wichtiger als ein österreichisches Fremdenrecht, dass nur noch Abwehr kennt und kaum noch Chancen auf legale Einwanderung. Dagegen muss jedes Mittel Recht sein. Auch der Rechtsbruch.
Denn welche Logik – außer einer totalitären – erlaubt es einem Staat, ein Kind dafür zu bestrafen, dass dessen Eltern Vorschriften verletzt, bzw. umgangen haben? Oder genauer: Kinder zu quälen, um deren Eltern zu bestrafen? Welche Logik erlaubt es einem Staat, das Leben eines Kindes zu ruinieren, mit dem Argument, dessen Eltern hätten diesem Kind widerrechtlich ein besseres Leben bereiten wollen?
Innenminister Nehammer hat – auch auf mehrmaliges Nachfragen hin – darauf verzichtet, Lou Lorenz-Dittlbacher seine Logik zu erklären. Er hat nur immer wieder seinen widersinnigen Satz wiederholt. Die Mutter von Tina sei schuld.
Schuld daran, dass man das zwölfjährige Mädchen in ein Land verschleppt, dass sie nicht kennt und dessen Sprache sie nicht schreiben oder lesen kann. Und ihre Mutter ist wohl auch schuld daran, dass man Tinas Mitschülerinnen und Mitschüler gewaltsam mit der für Terrorismusbekämpfung zuständigen Polizeibrigade vom Schauplatz des Geschehen fortschleifen musste. Den jungen Leuten musste man einmal eine Lektion erteilen, in was für einem Land sie gerade leben. In Corona-Zeiten ganz besonders.
Europäisches Tagebuch, 31.1.2020: Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärt Corona zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite. Mit Kritik an der intransparenten Informationspolitik Chinas hält sich die WHO zurück.
Donald Trump hat sich inzwischen mehrmals zu der neuen Epidemie in China geäußert. Heute verhängt die USA einen Einreisestopp gegen Reisende aus China. US-Präsident Trump erklärt: „Wir haben das, was aus China kommt, so ziemlich ausgeschaltet.“ Vor wenigen Tagen hat Trump getwittert: „China hat sehr hart daran gearbeitet das Virus zu kontrollieren. Die Vereinigten Staaten begrüßen ihre Bemühungen und ihre Transparenz sehr. Es wird alles gut ausgehen.”
Vor vier Tagen hat die Münchner Ärztin Camilla Rothe den ersten deutschen Covid-19 Fall entdeckt. Das Testergebnis ihres Patienten, eines Geschäftsmanns, Mitarbeiter eines Autoteilezulieferers, ist unzweifelhaft positiv. Ein Tag später waren schon drei weitere Mitarbeiter positiv auf Civod-19 getestet. Die einzig denkbare Möglichkeit sich angesteckt zu haben scheint der Kontakt zu einer chinesischen Kollegin, die zwei Tage zu Meetings zu Besuch war, aber keinerlei Symptome gezeigt hatte. Heute, nach ihrer Rückkehr nach China, fühlt sie sich krank und wird ebenfalls positiv getestet. Dr. Rothe und ihr Kollege Michael Hölscher schlagen Alarm und veröffentlichen einen kurzen Bericht im New England Journal of Medicine. Offenkundig verhält sich der neue Virus nicht so, wie sein naher Verwandter SARS. Er ist schon vor dem Auftreten erster Symptome hochgradig ansteckend. Rothe warnt Fachkollegen vor dem dadurch deutlich höheren Ansteckungsrisiko. Auch Kollegen vom Robert Koch Institut und den bayerischen Gesundheitsbehörden reichen einen Artikel bei The Lancet ein, einer weiteren medizinischen Fachzeitschrift, in dem sie zu ähnlichen Schlüssen gelangen. Die Ansteckungsgefahr bestünde ihnen zufolge schon dann, wenn die Symptome noch so mild seien, dass sie nicht bemerkt würden.
Die EU aktiviert indessen das Katastrophenschutzverfahren für die Rückholung von EU-Bürgern aus China. Weniger erfolgreich ist die EU damit, die Mitgliedsländer vom Ernst der Berdrohung auch in Europa zu überzeugen.
Die EU-Kommission bietet den Mitgliedstaaten an, sie bei der Beschaffung von Schutzmasken, Testkits und Beatmungsgeräten zu unterstützen. Die Vertreter der europäischen Regierungen lehnen dies als Einmischung in die nationale Gesundheitspolitik ab. „Alles unter Kontrolle”, notiert ein Beamter die Aussagen der nationalen Delegierten in einer vertraulichen Sitzung in den Protokollen, die später von der Nachrichtenagentur Reuters ausgewertet wurden, “die Mitgliedsstaaten seien auf hohem Niveau vorbereitet, die meisten hätten Maßnahmen gesetzt”. (Quelle: Der Standard, 3.4.2020)
Vorne weg: In Israel geborene Kinder von “Ausländern” gelten dort als “Sabres” (man informiere sich bei Google über diese Kakteenart!) und genießen demgemäß einen besonderen rechtlichen Standard in bestimmten Fragen. Demgemäß ist auch die zuletzt geborene Tochter von Dr. Rendi-Wagner, die u.a. an der Uni von Tel Aviv wissenschaftlich tätig war, eine “Sabre”. So erklärt sich teilweise auch die durchaus verständliche heftige Reaktion der österreichischen Politikerin auf die letztklassige Vorgehensweise des Innenministers der amtierenden Regierung Kurz.
Nun zum konkreten Fall der gewaltsamen Abschiebung von schulpflichtigen Kindern aus Österreich nach Georgien: 2008 tobte der Krieg Russlands gegen Georgien (eine Auseinandersetzung schon seit den Zeiten Graf Leo Tolstois (Roman “Krieg und Frieden”), der mit der Okkupation und Annexion georgischen Territoriums durch Russland ein einstweilen vorläufiges Ende fand. Die Mutter des georgischen Mädchens Tina emigrierte auf der Flucht vor diesem kriegerischen Geschehen in das vermeintlich sichere Westeuropa und suchte 2009 für sich und ihre Tochter Tina, die schon 2008 in Österreich zur Welt gekommen war, um politisches Asyl an. Dieses Ansuchen wurde bereits damals von den Behörden Österreichs abgelehnt und wird es – unter Hinweis auf “unabhängige Gerichte”- noch immer. Wie weit hier der lange Arm des Kreml und seiner Häscher, der bis tief in österreichische Strukturen reicht, eine unrühmliche Rolle spielt, bleibe dahingestellt. Jedenfalls handelt es sich dabei um eine hochpolitische Angelegenheit und man muss nicht gerade nach Tschetschenien blicken, um zu erkennen, um was es hier eigentlich wirklich geht. Nur werden diese Hintergründe in Österreichs Medien – aus durchsichtigen Motiven – nicht entsprechend ausgeleuchtet. Russland befindet sich in vielen Gegenden der Welt im Kriegszustand, ganz im Gegensatz zu anderslautenden Beteuerungen. Und genau das hat seine fatalen Auswirkungen bis in individuelle Kategorien mit “unmenschlichen” Folgen. Diese treffen dann auch ein 12jähriges völlig unschuldiges Mädchen in Wien.
Seltsamerweise lebt der – von der Mutter des Mädchens Tina geschiedene – Vater des Mädchens Tina mit einem gültigen Aufenthaltstitel in der Slowakei und arbeitet dort als Möbelmonteur. Unsichere Zeiten bringen auch unklare Familienverhältnisse mit sich.