Guido Brunner

Huf des Pferdes „Trieste“ von Guido Brunner. Jüdisches Museum Hohenems, Nachlass Carlo Alberto Brunner

Der Zerfall der multikulturellen Stadt Triest in ethnische und politische Lager zog sich weit in die Familien hinein. Guido Brunner (1893 – 1916), der ältere Sohn von Rodolfo und Gina Brunner, war wie seine Mutter Anhänger des Irredentismus, der gegen Österreich gerichteten italienischen Anschlussbewegung. Dies brachte ihn auch in Konflikt mit seinem Vater, der loyal zur Habsburger Monarchie stand. Als österreichischer Staatsbürger wurde Guido Brunner zur Armee eingezogen, desertierte jedoch und schloss sich den italienischen Truppen an. Auch seine Cousins kämpften auf verschiedenen Seiten im Weltkrieg, für die österreichische Monarchie und in der Britischen Armee. 
Guido wurde auf österreichischer Seite als Deserteur zum Tode verurteilt, jedoch von Kaiser Franz-Josef begnadigt. 1915 zog er dennoch für Italien in den Krieg und fiel am 8. Juni 1916 in der Schlacht von Monte Fior in den Alpen. Seine Überreste wurden nicht gefunden. Guido Brunners Pferd „Trieste“ überlebte die Schlacht und verbrachte sein restliches Leben auf dem toskanischen Landgut Forcoli der Brunners. Einer Reiter-Tradition folgend wurde nach seinem Tod ein Huf präpariert und als Dekorations- oder Gebrauchsgegenstand verwendet. Auf der Metall-Kappe ist die Inschrift: „Trieste segui in guerra il suo padrone Guido Brunner mori e fu sepolta a Forcoli li 8. XII.1918“ („Trieste – Er folgte seinem Meister, Guido Brunner in den Krieg, er starb und wurde in Forcoli begraben am 8. 12. 1918.“)

Carlo Alberto Brunner, „Am Grunde des Ghettos“: Über Guido Brunners „Heldentod“

Alfred Otto Munk

Alfred Otto Munk: Brief an seinen Vater Hans Munk, nach dem 10. April 1938. Jüdisches Museum Hohenems

Am Tag der pseudodemokratischen Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 10. April 1938 gelang Alfred Otto Munk (1925 – 2002) und seiner 23-jährigen Schwester Gertrud die Flucht bei Lustenau in die Schweiz. Ihre Mutter Rega Brunner, Tochter von Lucian Brunner, hatte einen Schlepper und gefälschte Papiere organisiert und ließ die Kinder in Wien von einem Auto abholen. Sie selbst war bereits rund um die „Anschluss“-Tage aus Österreich geflohen und befand sich in Zürich. Mit zwei weiteren Helfern erreichten ihre Kinder Schweizer Boden. Die Familie verließ Zürich im Oktober und emigrierte in die USA, wo Alfred Otto Munk zunächst in die US-Armee eintrat. Nach Kriegsende studierte er in Stanford und arbeitete jahrzehntelang als Manager in amerikanischen Ölkonzernen. Den Brief über seine Flucht aus Österreich schrieb Alfred Otto Munk an seinen Vater Hans Munk, der – von Rega Brunner seit 1926 geschieden – schon 1937 in die USA emigriert war und in Kalifornien lebte. In der Aufregung vergaß Alfred Otto Munk wohl zu erwähnen, dass der Tag der Flucht aus Österreich auch sein 13. Geburtstag war.

Alfred Otto Munk, Brief an seinen Vater. Auf der Flucht, April 1938.

Angiola Sartorio

Angiola Sartorio: Zigarettenalben-Sammelbild. Jüdisches Museum Hohenems

Angiola Elise Sartorio (1903-1995) war die Tochter von Julie Bonn und dem italienischen Maler Giulio Aristide Sartorio. Ihre Großmutter Elise Bonn, geb. Brunner, eine Schwester der „Triester Brüder“ der ersten Generation, hatte in die Frankfurter Bankiersfamilie Bonn eingeheiratet. Nach der Trennung der Eltern und Jahren in England und Schweden zog Angiola Sartorio zurück nach Deutschland, wo sie die Ideen des modernen Tanzes kennenlernte und in die Kompanie von Kurt Jooss, einem Schüler des einflussreichen Tanztheoretikers Rudolf von Laban, eintrat. Um schließlich eine steile Karriere als Choreographin und Tänzerin zu beginnen. 1933 erarbeitete sie die Choreographien zu Max Reinhardts italienischer Inszenierung des „Sommernachtstraum“ in Florenz. Reinhardts Einladung, mit ihr in die USA zu gehen, schlug sie aber aus. Sie hatte gerade eine eigene Tanzschule in Florenz eröffnet, in der ab 1933 zahlreiche geflüchtete Tänzerinnen und Tänzer aus Deutschland und Österreich Arbeit fanden. 1939 entschloss sich Angiola Sartorio selbst zur Flucht in die USA, zuerst nach New York, dann nach Santa Barbara, wo sie weiterhin Tanz- und Choreographie unterrichtete. Bis zu ihrem Lebensende blieb sie beruflich aktiv und setzte sich für Minderheiten und Bürgerrechte ein.

Gina Segré-Brunner

Tasse mit Untertasse von Gina Segré-Brunner. Jüdisches Museum Hohenems, Nachlass Carlo Alberto Brunner

Gina Segrè (1867-1948) entstammte einer jüdischen Industriellenfamilie aus Triest. Ihr Bruder Salvatore Segrè engagierte sich schon früh für die irredentistische Bewegung, die die Loslösung Triests vom Habsburgerreich und den Anschluss an Italien forderte, während die wachsende Zahl slowenischer Arbeiter in der Stadt auf die panslawische Bewegung setzten.
Für seine Hilfe für Flüchtlinge, die im Ersten Weltkrieg vor der österreichischen Armee geflohen waren, wurde er 1919 zum Baron geadelt und trug fortan den Namen Segrè-Sartorio. Auch seine Schwester Gina, die 1888 Rodolfo Brunner geheiratet hatte, war leidenschaftliche Anhängerin des Irredentismus (der Bewegung der „Unerlösten“) und stand damit im politischen Gegensatz zu ihrem Ehemann. Rodolfo und Gina Brunner bekamen vier Kinder, ihr älterer Sohn Guido fiel im Ersten Weltkrieg im Kampf gegen Österreich, was dazu führte, dass seine Eltern kaum mehr ein Wort miteinander sprachen. 1937 wurde Gina Brunner zur Präsidentin des Nationalverbandes der Mütter und Witwen der Kriegsopfer ernannt. Das Geschirr, vermutlich von Gina Segrè in die Ehe eingebracht, trägt das alte Familienwappen der Segrès mit dem Spruch „Omnia pro patria libenter“.

Moritz Julius Bonn

Moritz Julius Bonn: The Crisis of European Democracy. New Haven 1925 / Die Auflösung des modernen Staates. Berlin 1921. Jüdisches Museum Hohenems

Moritz Julius Bonn wurde am 16. Juni 1873 in Frankfurt am Main geboren, als Sohn des Bankiers Julius Philipp Bonn und Elise Brunner aus Hohenems. Nach Studien in Heidelberg, München, Wien, Freiburg und London, sowie Forschungsaufenthalten in Irland und Südafrika begann seine erfolgreiche Laufbahn als Nationalökonom. In Italien lernte er die Engländerin Theresa Cubitt kennen, die er 1905 in London heiratete, im gleichen Jahr, in dem er sich über die englische Kolonialherrschaft in Irland habilitierte. 1914 bis 1917 lehrte er an verschiedenen Universitäten in den USA.  Als Politikberater nahm er an zahlreichen Nachkriegskonferenzen teil, schrieb über Freihandel und wirtschaftlichen Wiederaufbau, kritische Studien über Kolonialismus und die europäische Demokratie, die er nur in Pluralismus und ethnischer Diversität als überlebensfähig betrachtete. Als Rektor der Handelshochschule in Berlin und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Finanzwesen gehörte er schließlich zu den führenden Wirtschaftsfachleuten der Weimarer Republik. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 musste Bonn emigrieren, zuerst nach Salzburg, dann nach London, und schließlich in die USA, wo er seine Autobiographie Wandering Scholar(deutsch: So macht man Geschichte) begann. Nach dem Krieg ließ er sich endgültig in London nieder, wo er 1965 verstarb.
Moritz Julius Bonn hatte die Sommer seiner Kindheit bei den Großeltern in Hohenems verbracht und hielt auch Kontakt zum Triester Zweig der Familie.

Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte, 1953: Erziehung eines Liberalen und Gottesdienste in Hohenems
Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte, 1953: “Felix Austria” und seine Minderheiten
Moritz Julius Bonn, So macht man Geschichte, 1953: Gedächtnis und Heimkehr aus dem Exil?

 

Gerald Reitlinger

Gerald Reitlinger: Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-1945, Berlin 1956 (im Original: The Final Solution. The Attempt to Exterminate the Jews of Europe 1939-1945, 1953) / Die S.S. – Tragödie einer deutschen Epoche, München 1957 (Im Original: The SS – Alibi of a Nation, 1956) / Auf Sand gebaut. Hitlers Gewaltpolitik in Russland 1941-1944. Hamburg 1962 (im Original: The House build on Sand. the Conflicts of German Policy in Russia, 1960). Jüdisches Museum Hohenems

Nach ihrem gewaltigen sozialen Aufstieg in Triest verheirateten Carlo Brunner und seine Frau Caroline, geb. Rosenthal, ihre drei Töchter an drei Brüder Reitlinger, Bankiers in Wien, London und Paris. Gerald Reitlinger (1900-1978) wurde als jüngster Sohn von Albert Reitlinger und Emma Reitlinger, geb. Brunner, geboren und studierte Kulturwissenschaften und Kunst. 1930 bis 1931 nahm er an einer Ausgrabung im Irak teil und unternahm in Folge mehrere Forschungsreisen in den Iran, die Türkei und nach China. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte Gerald Reitlinger die erste Gesamtdarstellung über den nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden: The Final Solution. The Attempt to Exterminate the Jews of Europe 1939–1945 erschien 1953 in London (deutsch 1956). 1956 folgte The SS. Alibi of a Nation 1922 – 1945(deutsch 1957). Gerald Reitlinger war ein begeisterter Sammler von asiatischen und islamischen Keramiken. Seine große Sammlung, die kurz vor seinem Tod durch ein Feuer beschädigt wurde, vermachte er dem Ashmolean Museum in Oxford, wo sie heute die Gerald Reitlinger Gallery bildet.

Gerald Reitlinger, Endlösung, 1956: Schuldfragen