Corona: Zum Stand der Dinge

Europäisches Tagebuch, 12.4.2021: Wer versucht die verschiedenen Corona-Bilanzen weltweit im Vergleich zu verstehen, stößt vor allem auf Widersprüche. Oder auf durchwachsene Erfolgsmeldungen.

Großbritannien hat es geschafft, das Infektionsgeschehen radikal einzudämmen und ist im europäischen Maßstab mit der Durchimpfung der Bevölkerung weit fortgeschritten. Freilich hat das Land auch die meisten Todesfälle Europas zu verzeichnen. Inzwischen sind es 127.000. Italien folgt mit 114.000 Todesfällen und wird Großbritannien bald überholt haben, was Tote pro Kopf der Bevölkerung angeht. Auch Frankreich wird bald 100.000 Tote zählen. Deutschland, dass europäische Land mit der größten Bevölkerung hingegen steht bei 78.500 Toten, auch wenn über das „Impfchaos“ geschimpft wird, so wie in Österreich oder der Schweiz, die so wie Deutschland ebenfalls mit ihren 9700-9800 Toten eher zu Ländern zählen, die bisher die wenigsten Toten pro Kopf betrauern müssen.

Die dramatischste Todesrate Europas hat Tschechien aufzuweisen, mit 28.000 Toten und einer Bevölkerung von 10,6 Millionen.

Außerhalb Europas hält die USA nach wie vor den zynischen Spitzenwert von 560.000 Toten, vor Brasilien, das inzwischen 353.000 offiziell dokumentierte an Covid-19 Verstorbene aufweist – und ein derzeit völlig außer Kontrolle geratenes Infektionsgeschehen mit den weltweit mit Abstand meisten Toten am Tag. Immerhin: in Brasilien weiß man woran es liegt: das Land mit dramatischen sozialen Gegensätzen und riesigen Elendsquartieren am Rande seiner Metropolen wird von einem Faschisten regiert, der keine Gelegenheit auslässt, zu demonstrieren, wie wenig ernst er die Pandemie nimmt.

Dunkelziffern gibt es zudem in vielen Ländern, am höchsten ist sie vermutlich in Russland, dass sich rühmt nur wenig mehr als 100.000 Tote gezählt zu und als erstes einen Impfstoff, nämlich Sputnik-V zugelassen zu haben. Rechnet man die Übersterblichkeit der vergangenen Monate in die Bilanz ein, so gehen unabhängige Beobachter in Summe von über 400.000 Toten aus. Viele von ihnen haben die Todesursache: „Viruspneumonie, nicht näher bezeichnet“. (In den USA beträgt die Differenz zwischen den offiziellen Coronatoten und der Übersterblichkeit seit Beginn der Pandemie, nur etwa 15.000 Menschen).

Auch wenn Sputnik-V mit viel Medienecho schon 2020 zum Einsatz kam – geimpft sind in Russland erst 6% der Bevölkerung mit einer ersten Dosis. Die Impfskepsis grassiert genauso wie die Pandemie, so richtig traut man der Politik und den Behörden nämlich nicht. Und Russland scheint den Impfstoff eher als zur Ankurbelung des Exports zu benutzen, in Länder, von denen man sich Geld oder auch politische Gefälligkeiten erwartet, wie Serbien.

Zum Vergleich: In Österreich sind fast 17% der Bevölkerung inzwischen mit einer ersten Dosis geimpft, in Deutschland 16%, in Italien 15%, in der Schweiz etwas über 12%, in den USA sind es inzwischen, durch einen beispiellosen Kraftakt nach dem Ende der Ära Trump nun 36%. In Brasilien, wo die Pandemie derzeit wütet wie nirgendwo auf der Welt nur 10%.

Und Israel? Das Land dass es mit fast 60% Durchimpfung mit einer ersten Dosis vermeintlich geschafft hat, „Herdenimmunität“ zu erreichen und nun weltweit als leuchtendes Beispiel gehandelt wird? Was kann man aus diesem Beispiel lernen?
Von einem Regierungsschef, der sein eigenes politisches Überleben an den Erfolg der Pandemiebekämpfung geknüpft hat und stolz darauf ist, den Chef des wichtigsten Impfstofflieferanten Pfizer regelmäßig nachts aus dem Schlaf geklingelt zu haben? Wieviele können ihm das nachmachen?
Ein Land das, kontinuierlich im militärischen Ausnahmezustand, seine eigene Bevölkerung nun durch den Geheimdienst überwacht und sämtliche Gesundheitsdaten exklusiv an Pfizer verkauft hat, und um diesen Preis nun vor allen anderen Ländern mit den Lieferungen bevorzugt wurde, genauer gesagt, auf Kosten von allen anderen Ländern.
Und auf Kosten der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, von denen nur diejenigen geimpft werden, die in Israel “systemerhaltende” Jobs haben. Natürlich war die palästinensische Führung zu stolz, um Israel offiziell um Impfstoffe zu bitten und hat stattdessen auf Sputnik-V gesetzt. Doch für den größten Teil der palästinensischen Bevölkerung ist die israelische Regierung verantwortlich, auch wenn sie immer wieder beteuert, dass der Vertrag von Oslo die Verantwortung für die gesundheitliche Versorgung der Palestinian Authority übergeben hätte. Doch jeder weiß, dass der Vertrag von Oslo inzwischen das Papier nicht mehr Wert ist, auf dem er geschrieben wurde. Und seine Regelungen über palästinensische Teilautonomie ohnehin niemals das gesamte besetzte Gebiet und sein Bevölkerung umfasst hat.
Was an all dem soll nun als leuchtendes Vorbild dienen?

Rückblick, 12.4.2020: Einer Meinungsfrage in Italien zufolge will fast die Hälfte aller Italiener aufgrund des unsolidarischen Verhaltens mancher europäischer Staaten die EU verlassen.

Die USA hat mit 20.600 offiziell bestätigten Todesopfern Italien überholt. Bis zum Abend steigt die Zahl auf 22.000. Davon sind ca. 3600 Tote aus Altenheimen gemeldet worden. Eine hohe Dunkelziffer wird angenommen. Dies gilt auch für Großbritannien. Dort sind es nun über 10.000 bestätigte Todesopfer. Die britische Statistik erfasst allerdings nur die in Krankenhäusern Verstorbenen, nicht die Toten in Seniorenheimen, Pflegeheimen oder Privatwohnungen.

 

Ein Gedanke zu „Corona: Zum Stand der Dinge

  1. In Russland traut selbst Putin nicht “seinem” Sputnik: Er lässt sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit (anzunehmen mit einem “westlichen” Impfstoff) impfen. Das spricht Bände!

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