Georg Kreisler: Ich fühl mich nicht zuhause

Europäisches Tagebuch, 22.11.2020: Heute vor neun Jahren starb in Salzburg Georg Kreisler, der jüdische Anarchist, absurde Dichter und Sänger am Klavier. 1938 war Kreisler, 1922 in Wien geboren, mit seinen Eltern in die USA geflohen, wurde 1943 US-amerikanischer Staatsbürger, unterhielt amerikanische Soldaten in England musikalisch und begann eine kurvenreiche Karriere als Alleinunterhalter.

Wenn alles stimmt, was man so über ihn erzählt, oder er selber über sich erzählte, dann verhörte er nach dem Krieg Julius Streicher und Hermann Göring in Nürnberg, ließ sich in Hollywood von Charlie Chaplin die Melodie des Films „Monsieur Verdoux“ vorpfeifen um sie seinerseits Hanns Eisler vorzupfeifen, und spielte angeblich Klavier, wenn man Chaplin am Klavier sah. Aber man verstand Kreisler wohl gründlich falsch, wenn man ihm alles glaubte, was er sagte.

Ob es stimmt, dass seine Lieder den Amerikanern zu makaber waren? 1950 jedenfalls bekam er das Angebot in der New Yorker Monkey Bar regelmäßig aufzutreten. In seiner New Yorker Zeit muss er auch seinen frechen, und durchaus makabres liebenden Alleinunterhalterkollegen Tom Lehrer gehört haben, der mit Songs wie „Let’s poison pigeons in the Park“ durchaus die Grenzen der amerikanischen Bereitschaft auslotete, sich auf makabre Kulturkritik einzulassen.

Zurück in Wien, wo Kreisler sich 1956 wieder niederließ, trat er bald in der legendären Marietta Bar auf, zusammen mit Gerhard Bronner, Peter Wehle und Helmut Qualtinger – und wurde unter anderem mit „seinem“ Lied „Tauben vergiften im Park“ berühmt und berüchtigt. Doch zu seiner Ehre sei gesagt, die meisten wunderbaren Lieder aus dieser Zeit und den Jahren die nun kamen, waren durchaus von ihm selbst, eines böser und giftiger als das andere. 1958 zog er mit seiner, inzwischen dritten, Ehefrau Topsy Küppers nach München, 1972 folgte ein nach wenigen Monaten sang und klanglos beendeter Versuch, nach Israel zu gehen. Stattdessen ging es nun nach Berlin, wo er bei den Wühlmäusen und den Stachelschweinen auftrat. 1988 zog er in die Nähe von Salzburg und 1992 nach Basel. Von 2007 bis zu seinem Tod lebte er schließlich wieder in Salzburg, unbestechlich die Zeitläufte kommentierend, wie eh und je. Und natürlich – Geschichten erzählend über ein unglaubliches Leben.

 

Eines seiner schönsten Lieder hat Kreisler 1966 auf seiner Schallplatte „Nichtarische Arien“ veröffentlicht: „Ich fühl mich nicht zuhause“.

 

 

Und hier der Text:

Ich war bei meiner Schwester in Berlin
Sie will ich soll auf immer zu ihr zieh’n
Ihr Mann ist jetzt gestorben, a Schlemihl
Und hat ihr hinterlassen viel zu viel
Sie hat a Wohnung, da ist alles drin
Sie kennt die allerbesten Leut’ –
Doch ich sprach: “Schwester, wenn ich ehrlich bin
Mir macht das Leben hier ka Freud’

Ich fühl mich nicht zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Ich bin, soweit ich sehe
Für dieses Leben zu primitiv
Ich fühl mich nicht zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Verzeih mir, wenn ich gehe
Ich schreib dir bald an Brief.”

Ich fuhr zu meinem Bruder nach New York
Der lebt dort schon seit Jahren ohne Sorg’
Sein Umsatz ist pro Anno a Million
Und deshalb wollt er mich als Kompagnon
Ja, den sein Business war so gut wie Gold
Ich hätt’s auch gern mit ihm geführt
Doch als ich endlich unterschreiben sollt
Da hab ich plötzlich klar gespürt:

Ich fühl mich nicht zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Was gehen mich an die Yankees?
Auch wenn ich dabei Geld verlier’
Ich fühl mich nicht zu Hause
Und deshalb
Mein Bruder
Auch wenn es ein Geschenk is
Ich lass’ das Business dir

Dann fuhr ich zu mein’ Schwager, Mojsche Grün
Der wohnt in Buenos Aires, Argentin
Er hat a Hazienda, sitzt am Pferd
Und pflanzt sich die Bananen in die Erd
Und Señoritas gibt es schöne hier
Ich hab mit vielen gleich frohlockt
Doch als mein Schwager sagte: “Bleib bei mir!”
Da hab ich traurig ihm gesogt:

“Ich fühl mich nicht zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Was solln mir Señoritas
Und Sonnenschein und blaues Meer?
Ich fühl mich nicht zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Und jeder Cowboy sieht, dass
Ich hier nicht hingehör!”

Doch plötzlich wusst ich, wo ich hingehör
Ich nahm das nächste Schiff zum Mittelmeer
Und fuhr in großer Eile, sehr fidel
In meine wahre Heimat Israel –
Doch das war leider überhaupt nicht schlau
Hier gibt mir niemand an Kredit
Und was versteh denn ich vom Ackerbau?
Und alle reden nur Ivrith

Ich fühl mich nicht zu Hause’
Zu Hause
Zu Hause
Ich spür’s in allen Poren
Auch wenn ich hier zu Hause bin
Ich fühl mich nicht zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Ich hab hier nichts verloren
Und wo soll ich denn hin?

So kam ich voller Unglück und voll Glück
In mein geliebtes Stätel hier zurück
Der Umgang ist mit mir zwar sehr verpönt
Man hat sich an mein Wegsein schon gewöhnt
Jetzt heißt es, tiefgeduckt und mißgetraut!
Und wer nicht mitmacht, der macht mit
Jetzt werd’ ich von der Seite angeschaut
Und krieg symbolisch einen Tritt

Jetzt fühl ich mich zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Im Ausland nur zu sitzen
War auf die Dauer ungesund
Denn hier bin ich zu Hause
Zu Hause
Zu Hause
Hier kann man mich benützen –
Und hier geh ich zu Grund