Europäisches Tagebuch 18.6.2021: Vor drei Tagen hat das ungarische Parlament eine Gesetzesnovelle unter der Überschrift: “Änderungen von einigen Gesetzen zum strengeren Vorgehen gegenüber pädophilen Kriminellen sowie im Interesse des Kinderschutzes”. Gemeint ist damit die öffentliche Verteufelung von Homosexuellen. Für die Gesetzesvorlage stimmten Abgeordnete der von Orban angeführten Regierungspartei Fidesz sowie Parlamentsmitglieder der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik. Alle anderen Oppositionspolitiker, bis auf einen, verließen aus Protest den Parlamentssaal und nahmen an der Abstimmung nicht teil. Das Votum ging dementsprechend 157 zu eins aus.
Das Gesetz verbietet Bücher und Filme in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht – und jegliche Bildungsprogramme und Aufklärungsbücher, die das Thema zum Gegenstand haben. Auch Werbung, die Homosexuelle oder Transsexuelle als “normal” darstellen, ist verboten. Damit stellt sich die Regierung Urban und die Mehrheit des ungarischen Parlaments gegen alle Diskriminierungsverbote, die inzwischen angeblich zu den europäischen “Grundwerten” gehören, und vor allem zum gesetzlichen Grundlagen der Gemeinschaft. Mit dieser Kampfansage fordert Urban die EU nun freut offen heraus. Die Frage bleibt, ob die EU sich als zahnloser Tiger erweisen wird.
Rückblick, 18.6.2020: Der Europäische Gerichtshof entscheidet zugunsten der Klage der Europäischen Kommission gegen das ungarische NGO-Gesetz aus dem Jahr 2017, dass Nichtregierung-Organisationen, die Spenden aus dem Ausland erhalten, benachteiligt und öffentlich an den Pranger stellt. Das Gesetz richtet sich in der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere gegen Stiftungen von George Soros, gegen den der ungarische Ministerpräsident Orban seit Jahren antisemitische Kampagnen fährt, mit denen er für sich im Lande erfolgreich Stimmung macht. Die von George Soros gegründete Central European University, die dazu beitragen sollte, eine demokratische und liberale Wissenschaftspolitik zu unterstützen, hat er auf diese Weise inzwischen aus Budapest nach Wien vertrieben. Neben dem NGO-Gesetz gab es die unterschiedlichsten Denunziationen und Schikanen. Von Orban kontrollierte Zeitungen veröffentlichten Listen von angeblichen „Soros-Söldnern“ und Strafverfahren schüchterten Kritiker seiner Asyl-Politik ein, denen Strafen wegen Begünstigung von Schlepperei angedroht wurden, selbst wenn es sich dabei nur um Vorlesungen an der Central European University über Migrationspolitik ging.
Die Luxemburger Richter gaben der EU-Behörde nun Recht und sprachen von »diskriminierenden und ungerechtfertigten Beschränkungen«. Diese verstießen sowohl gegen die EU-Verträge als auch gegen die Charta der EU-Grundrechte. Die Luxemburger Richter wiesen in ihrem Urteil zudem darauf hin, dass das NGO-Gesetz die in der Grundrechte-Charta verankerten Rechte auf Versammlungsfreiheit, auf Achtung des Privat- und Familienlebens und auf Schutz personenbezogener Daten verletze. Es ist freilich nicht zu erwarten, dass das Luxemburger Urteil Eindruck auf Orban machen wird. Auf ähnliche Urteile reagierte er bislang mit weiteren Verschärfungen seiner Politik.
Für 26 EU-Staaten müsste jetzt der modifizierte Cicero-Spruch (in dem alt-europäischen Idiom) gelten: “Quo usque tandem Victor abutere patientiam nostram?” Denn Herr Orban hat gegen die Europäische Union eine veritable Verschwörung angezettelt. Der niederländische Premierminister hat ihm in Brüssel bereits die Tür gewiesen, weil er nicht mehr in die Wertegemeinschaft hineinpasst. Aber das wird ausreichen: Er und seine rechtsextreme Partei müssen aus dem gemeinsamen Haus buchstäblich hinausgeworfen werden. Der versteht nur eine derart extreme Gangart!