Europäisches Tagebuch, 25.3.2021: Vor einigen Wochen hat Portugal im Zuge seiner Ratspräsidentschaft den Versuch unternommen, die soziale Situation, die Arbeitsbedingungen, die Entlohnung und den legalen Status von Erntehelfern in der EU zu verbessern. Zahlreiche EU-Staaten haben sich der Forderung angeschlossen, Agrarförderungen. von der Einhaltung von Standards abhängig zu machen. Auch im EU-Parlament engagieren sich immer mehr Abgeordnete in dieser Frage.
Schließlich arbeiten die häufig illegal oder weit unter Kollektivverträgen oder Mindestlöhnen Beschäftigten unter zum Teil unerträglichen Verhältnissen, bis zu 12, ja manchmal 17 Stunden am Tag, untergebracht in menschenunwürdigen Behausungen. Dies gilt nicht zuletzt für die großen Agrarproduzenten Europas, Spanien und Italien. Aber auch für Länder wie Österreich.
Portugal hat vorgeschlagen, die EU-Agrarförderungen (immerhin ein Drittel des EU-Budgets) davon abhängig zu machen, dass Landwirte und Lebensmittelkonzerne endlich menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen und soziale Rechte respektieren. Im Europäischen Rat haben 12 Länder jedoch Portugals Vorschläge abgelehnt, nicht zuletzt die österreichische Landwirtschaftsministerin Köstinger, die stattdessen eine „Informationskampagne“ starten will. Nun bringt sie auch eine „Evaluierung“ ins Spiel. Alles soll dazu dienen, offenbar Zeit zu gewinnen. Wofür auch immer. Interessanterweise sind es weder Italien noch Spanien, die den portugiesischen Vorschlag blockieren, sondern neben Österreich auch Belgien, Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechien, Finnland, Griechenland, Ungarn, Malta, Rumänien, Lettland und die Slowakei. Der österreichische EU-Abgeordnete Thomas Waitz (Grüne) spricht von „sklavenartigen Verhältnisse und erklärt, es könne nicht sein, „dass man weiter öffentliches Geld bekommt, obwohl man Arbeitsrechte untergräbt.“ Waitz geht davon aus, dass eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse auch einen faireren Wettbewerb innerhalb der EU zulassen würde. Eine Einigung ist wohl noch in weiter Ferne. Schließlich gibt es wirtschaftliche Interessen daran, dass EU-Agrarprodukte auch auf dem Weltmarkt „konkurrenzfähig“ bleiben. Aber das geht zusehends auf Kosten derjenigen, die dafür schuften müssen.
Heute Abend spricht der österreichische Migrationsexperte Rainer Münz im Jüdischen Museum Hohenems über Wanderarbeit und Migration in Europa – vor, während und nach der Covid-Krise. Hier die Aufzeichnung des Abends.
Rückblick, 25.3.2020: Ausländische Erntehelfer fehlen in Österreich. Laut dem Branchenverband Obst und Gemüse mangelt es bereits an 2500 Helfern. Im Mai könnten es 5000 sein. Die meisten Erntehelfer kommen aus Rumänien und anderen osteuropäischen Staaten und können derzeit weder aus- noch einreisen. Auch in der Fleischproduktion und -verarbeitung fehlen hunderte von Arbeitskräften.