Europäisches Tagebuch, 17. April 2023: Heute vor 78 Jahren, wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde die Schriftstellerin Hilda Monte am Grenzkontrollpunkt Tipis zwischen Vorarlberg und Liechtenstein erschossen.
von Hanno Loewy
Geboren wurde die sozialistische Widerstandskämpferin unter dem Namen Hilde Meisel am 31. Juli 1914 in Wien, drei Tage nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns gegen Serbien, mit der der erste Weltkrieg begann.
1915 zog ihre Familie – ihre Eltern Rosa und ernst Meisel und ihre ältere Schwester Margot – nach Berlin, wo ihr Vater ein Import-Export Geschäft führte. Schon als Jugendliche schloss sie sich dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) an, der 1926 vom Philosophen Leonard Nelson gegründet wurde. 1929 besuchte sie zum ersten Mal England, 1932 ging sie für kurze Zeit nach Paris. Regelmäßig veröffentlichte sie in der ISK-Zeitschrift Der Funke Analysen der politischen und wirtschaftlichen Situation in England, Frankreich und Deutschland, Spanien und den Kolonien, nicht zuletzt in Afrika. Einer der letzten Texte, die sie im Februar 1933 im Funke veröffentlichte, beschäftigte sich mit dem Waffenschmuggel zwischen italienischen, österreichischen und ungarischen Faschisten, der über die Munitionsfabriken von Hirtenberger in Österreich abgewickelt wurde.
Die Jahre 1933 und 1934 erlebte sie wieder im Deutschen Reich, bevor sie 1934 nach Paris und 1936 nach London emigrierte. Mehrere Male reiste sie auch danach illegal ins Deutsche Reich und half dabei, Aktionen des Arbeiterwiderstands zu organisieren. 1938 ging sie, um ihre Ausweisung aus England zu verhindern, eine Scheinehe mit dem deutsch-britischen Karikaturisten John Olday ein und wurde dadurch britische Staatsbürgerin.
Auch während des Krieges blieb sie im Widerstand aktiv, sei es als Kurierin der Internationalen Transportarbeiter-Föderation oder im Auftrag alliierter Geheimdienste. Und sie schrieb, zumeist unter dem Namen Hilda Monte. 1940 erschien ihr gemeinsam mit Fritz Eberhard (eigentlich Hellmuth von Rauschenplat) verfasstes Buch How to conquer Hitler. Sie war am Aufbau des Radiosenders „Europäische Revolution“ beteiligt und arbeitete für die deutschen Arbeiter-Sendungen der BBC. 1942 berichtete sie im Radio auch über die begonnene Massenvernichtung der Juden im besetzten Polen. Daneben schrieb sie Gedichte – und arbeitete an ihrem Roman Where Freedom Perished, der erst 1947 erscheinen sollte.
1943 erschien in London ihr Buch The Unity of Europe, in dem sie eine Vision für ein vereintes sozialistisches Europa mit gemeinsamen Institutionen, als politisch unabhängige revolutionäre Kraft zwischen den USA und der Sowjetunion entwickelte.
1944 ließ sie sich zusammen mit Anna Beyer, einer ISK-Kameradin, im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes OSS und österreichischer Sozialisten ins besetzte Frankreich einschleusen. Bald darauf holten René und Hanna Bertholet sie in die Schweiz, ins Tessin und nach Zürich, wo sie mit sozialistischen Emigranten gemeinsam Pläne für die Zeit nach der Befreiung entwarfen – und Hilda Monte davon träumte in China Genossenschaften aufzubauen und alternative Wirtschaftsformen zu studieren, während sie in Mußestunden Tonskulpturen anfertigte.
Im April 1945 meldete sie sich erneut für einen heiklen Auftrag. Von Zürich aus ging sie illegal über die Grenze, um Kontakt mit Sozialisten in Vorarlberg herzustellen, mit einem Fragebogen im Kopf, der das Verhältnis verschiedener Widerstandsgruppen zu einander und die politischen Perspektiven in Vorarlberg nach der Befreiung ausloten sollte. Vermutlich sollte sie auch die Möglichkeiten ausloten, sozialistische Emigranten ins Reich zu schleusen, um den politischen Neuanfang nach der Befreiung vorzubereiten.
Auf dem Rückweg von Feldkirch nach Liechtenstein wurde sie am 17. April 1945 in der Nacht an der Grenze von einer Grenzwache aufgegriffen und im Zollamt Tisis festgehalten. Beim Versuch, in den Morgenstunden zu fliehen, wurde sie angeschossen und verblutete an Ort und Stelle.
Ihre gefälschten Papiere wiesen sie als Eva Schneider aus Berlin aus: „Kontoristin im Propagandaministerium“. Sie wurde als „vermutlich protestantisch“ auf dem evangelischen Friedhof von Feldkirch beigesetzt. Österreichische Sozialisten setzten auf ihr Grab den Stein mit der Inschrift: „Hier ruht unsere unvergessliche Genossin Hilde Monte-Olday. Geb. 31.7. 1914 in Wien. Gest. 17.4.1945 in Feldkirch. Sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee“.
Viele ihrer Genossinnen und Genossen wurden prominente Mitglieder der SPD, wie Susanne Miller und Willi Eichler, der große Teile des Godesberger Programms schrieb, Gründerinnen und Gründer politischer und philosophischer Akademien oder, wie Hanna und René Bertholet, der Europäischen Verlagsanstalt in Hamburg. All dies hat Hilda Monte, geboren am Beginn des ersten Weltkriegs, getötet in den letzten Kriegstagen des zweiten, nicht mehr erlebt. Auch nicht die Gründung der Europäischen Gemeinschaft.
1943, als ihr Buch The Unity of Europe erschien, schrieb sie in einem Brief an Julius Braunthal, den Sekretär der Sozialistischen Internationale in London: „If you ask me what nationality you should add to my name – I must say that I don’t quite know how to answer that question. I am British by nationality now, Hungarian by origin, and have lived and worked a lot in Germany. I can only define myself as a European, but I guess that we have not reached the stage where that is permissible.” Mit diesem Anspruch würde sie auch heute noch scheitern.