Europäisches Tagebuch, 12. Februar 2023: Heute vor 112 Jahren wurde die Wissenschaftlerin Hedwig Klein in Antwerpen geboren.
von Hanno Loewy
Ihren Vater, den Kaufmann Abraham Wolf Klein, verlor Hedwig Klein mit nicht einmal fünf Jahren. Er starb als Soldat an der Ostfront für das Deutsche Reich. Da lebte die Familie schon in Hamburg. Bis 1927 dauerte es freilich noch, dass Hedwig, ihre Mutter und ihre Schwester die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten.
1931 schrieb Hedwig Klein sich an der Universität Hamburg zum Studium ein. Ihre Wahl: Islamwissenschaft, Semitistik und englische Philologie. Im Seminar galt sie als zurückhaltend und bescheiden – und zugleich als kritischer Geist, der sich nicht mit fixen Lehrmeinungen abspeisen ließ, sondern leise und bestimmt Zweifel anmeldete. Bald hatte sie den Spitznamen „Šakkāka“, die gewohnheitsmäßige Zweiflerin.
1937 stellt sie ihre Doktorarbeit fertig: die kritische Edition einer arabischen Handschrift über die islamische Frühgeschichte. Doch Juden sind nun, ab dem Frühjahr 1937 nicht mehr zur Doktorprüfung zugelassen.
Hedwig Klein bleibt hartnäckig, sie überzeugt die Universitätsleitung dazu, eine Ausnahme zuzulassen. Ihre Arbeit wird mit der Bestnote „Ausgezeichnet“ bewertet, ihr Betreuer Arthur Schaade bescheinigen ihr ein „Maß an Fleiß und Scharfsinn, das man manchem älteren Arabisten wünschen würde.“
1938 soll die Arbeit gedruckt werden, auch die Promotionsurkunde ist schon aufgesetzt, doch da wird das Imprimatur zurückgezogen. Das Verbot, Juden zu promovieren, wird nun mit aller Gründlichkeit durchgesetzt.
Hedwig Klein plant ihre Emigration. Doch es gelingt ihr nicht, ein Visum zu erhalten, weder in Frankreich noch in den USA. Mit Hilfe des Hamburger Wirtschaftsgeographen Carl August Rathjens erhält sie schließlich die Einladung eines Arabisch-Professors in Bombay. Und am 19. August sticht ihr Dampfer von Hamburg aus in See. Zwei Tage später schreibt sie Rathjen eine hoffnungsvolle Postkarte. „Allah wird schon helfen…“
Doch in Antwerpen erhält das Schiff den Befehl zurückzukehren und einen deutschen Hafen anzulaufen. Da ist der deutsche Überfall auf Polen schon in Vorbereitung, und damit der nächste Weltkrieg.
Noch einmal hilft ihr Arthur Schaade. Klein wird dem gerade in die NSDAP eingetretenen Arabisten Hans Wehr empfohlen. Die Reichsregierung, so fordert Wehr, solle sich „die Araber“ zu Verbündeten machen, gegen Frankreich und England, und gegen die Juden in Palästina. Und das Auswärtige Amt wiederum sieht in Hans Wehr den richtigen Mann für die Erarbeitung eines deutsch-arabischen Wörterbuches. Denn das braucht es nun dringend, nicht zuletzt für eine gelungene Übersetzung von „Mein Kampf“ ins Arabische.
Ihre Mitarbeit am deutsch-arabischen Wörterbuch bewahrt Hedwig Klein zunächst vor der Deportation nach Riga im Dezember 1941, die Schaade mit einer Intervention gerade noch verhindern kann. Klein sei unersetzbar.
Doch am 11. Juli 1942 ist es soweit. Der erste Deportationszug, der von Hamburg direkt ins Vernichtungslager Auschwitz führt, bringt auch Hedwig Klein zu ihren Mördern. So, wie auch ihre Schwester, ihre Mutter und ihre Großmutter ermordet werden.
1947 setzt Carl August Rathjen durch, dass Hedwig Kleins Dissertation posthum gedruckt wird. Und in „Abwesenheit“ wird Hedwig klein zum Doktor der Philosophie erklärt.
Hans Wehr hingegen wird nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft und nutzt Kleins Mitarbeit an seinem Wörterbuch nun dazu sich zu „entlasten“. Das deutsch-arabische Wörterbuch erscheint 1952. Im Vorwort dankt Wehr einem „Fräulein Dr. H. Klein“ für ihre Mitwirkung. Über ihren gewaltsamen Tod verliert er kein Wort. „Der Wehr“ ist bis heute das meistbenutzte deutsch-arabische Wörterbuch, 2011 ist es zuletzt in seiner 5. Ausgabe erschienen. Ohne Stefan Buchens Nachforschungen zu ihrem Leben, wüsste bis heute niemand von Hedwig Klein.[1]
[1] https://de.qantara.de/inhalt/die-jüdin-hedwig-klein-und-mein-kampf-die-arabistin-die-niemand-kennt