Europäisches Tagebuch, 9.9.2020: Heute ganz ohne Contenance und Diplomatie. Nackt und fassungslos. Das Lager Moria existiert nicht mehr. Ein Großbrand hat das Flüchtlingslager auf Lesbos vernichtet, wo seit Jahren tausende von Menschen als Geiseln europäischer Politik eingesperrt sind. Set Monaten leben dort 13.000 Menschen in Unterkünften, dass für einen Bruchteil von ihnen Platz hat. Unter unmenschlichen Bedingungen, heillos überfüllt, ohne sanitäre Versorgung, notdürftig am Leben gehalten von NGOs und den Vereinten Nationen, die sich dafür von den Verbrechern, die uns heute regieren auch noch beschimpfen lassen müssen. Österreich zahlt immerhin auch etwas, für die Bewachung dieser Menschen durch griechische Polizei. 13.000 Menschen, darunter Kinder, Kranke, alles was dazu gehört, wurden dort wie Vieh gehalten, als Abschreckung gegen alle, die womöglich noch an Europas „Werte“ (sei es moralische, sei es materielle) glaubten.
Seit Monaten warnen NGOs davor, dass irgendwann Corona im Lager ausbrechen wird. Weitgehend abgeschlossen vom Rest der Welt, war Moria eine Zeitlang von Corona verschont. Doch vor einer Woche gab es den ersten schweren Fall und zahlreiche Ansteckungen. Angst breitete sich aus, vor Infektionen und erst Recht vor der „Quarantäne“, denn niemand darf mehr das Lager verlassen. Einigen gelang es dennoch in die umliegenden Hügel zu fliehen. Erst Recht fürchten die Flüchtlinge, in neu geplante, hermetische Gefängnislager irgendwo auf Lesbos oder Chios verfrachtet zu werden, den Rest von Selbstbestimmung und Würde zu verlieren.
In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen. Irgendwann ist die aufgestaute Verzweiflung von vielen Monaten Hoffnungslosigkeit und Quälerei in nackte Panik umgeschlagen.
Die Populisten Europas haben es geschafft, die Lage zur Explosion zu bringen. Das Lager ist abgebrannt.
In den mit Menschen vollgestopften Unterkünften gibt es unzählige potentielle Gefahren. Aber es ist von Brandstiftung ist die Rede, und es würde niemand wundern. Wer keine andere Wahl mehr hat, der zündet sich als letztes Mittel eben selber das Dach über dem Kopf an.
Österreichs Innenminister nutzt die Katastrophe für weitere Hetze: „Gewaltbereite Migranten haben kein Recht auf Asyl in Europa.“ Das lässt das schlimmste befürchten. Auf den Zynismus der letzten Monate und Jahre folgt wohl noch ärgerer Zynismus. Aus ihm spricht die nackte Menschenverachtung. Wie kann sich so ein Mensch morgens noch in den Spiegel schauen? Aber vielleicht haben die Nehammers und Kurz und wie sie alle heißen ihre Spiegel inzwischen abgehängt.