Europäisches Tagebuch, 4.12.2020: Eine der führenden Gestalten und engsten Vertrauten, mit denen Viktor Orban seit Jahren ungarische Kulturschaffende und Institutionen auf Linie bringt, ist Szilard Demeter, der Leiter des Petöfi-Literaturmuseums in Budapest – und Angehöriger zahlreicher Gremien, in denen über die Vergabe von Förderungen an den Literaturbetrieb und die Musikbranche entschieden wird. Bekannt wurde Szilard nicht für seine, eher mäßig erfolgreichen, literarischen und musikalischen Versuche, sondern durch markige rechte Sprüche und Gewaltdrohungen. Nun hat er auch für Orbans beste Freunde, die israelische Regierung, ein wenig den Bogen überspannt.
George Soros, der ungarische Holocaust Überlebende und frühere Investmentbanker, der seit Jahren das beliebteste Ziel von antisemitischen Kampagnen der ungarischen Regierung darstellt, habe, so Szilard in einem Kommentar des Internetportals origo.hu am letzten Samstag, Europa zu seiner „Gaskammer“ gemacht. „Aus den Fässern der multi-kulturellen offenen Gesellschaft entströmt das Giftgas, das für die europäische Lebensform tödlich ist“. Der liberale „Führer“ und seine „Liber-Arier“ wolle die christliche und nationale Identität der europäischen Völker auslöschen. „Wir sind die neuen Juden“, schreibt Demeter und meint Polen und Ungarn, und den drohenden Beschluss der Europäischen Union, zukünftig Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit zu ahnden, was Polen und Ungarn mit der Blockade des gesamten EU-Haushaltes verhindern wollen.
Demeter, der sich selbst als „fanatischer Orbanist“ bezeichnet, ist nach heftigen Protesten der jüdischen Gemeinde in Ungarn, zahlreicher Organisationen und ja, sogar der israelischen Botschaft, halbherzig zurückgerudert. Von einem Rücktritt oder einer Entlassung ist freilich nicht die Rede. Dass Soros Europa angeblich mit Muslimen „überfluten“ wolle, ist schließlich der Kern von Orbans täglicher Propaganda, bei der er von engen Vertrauten des israelischen Regierungschefs Netanjahu beraten wird. Dass Szilard sich hier ein wenig bei den Textbausteinen vergriffen hat, wird seine Karriere in Ungarn nicht wirklich behindern.
„Wir sind die neuen Juden“, hat sich mit diesen Worten nicht auch der Vorsitzende einer österreichischen Rechtspartei 2012 darüber beschwert, auf dem Weg zum Ball der Burschenschaftler beschimpft worden zu sein. „Wie die Reichskristallnacht sei das gewesen“. Nur fünf Jahre später war der Mann Vizekanzler. Szilard Demeter muss eine glänzende Karriere bevorstehen. Na ja, zumindest eine zeitlang.
Dieser Vorsitzende einer österreichischen Rechtspartei ist nun zu Recht in der politischen Versenkung verschwunden, aus der er allerdings von Zeit zu Zeit immer wieder aufheult, um sich in unliebsamer Erinnerung zu halten.